Patient:innen x Pharma: Es ist kompliziert!
Einige träumen von der perfekten Partnerschaft. Andere warnen vor Abhängigkeit und verdecktem Einfluss. Wir nehmen für euch die Zusammenarbeit von Patient:innenvertretungen und Pharmaunternehmen unter die Lupe und fragen: Wer profitiert am Ende von wem?
Wenn du uns durch diesen Artikel folgst,
- bekommst du einen ehrlichen Einblick in das oft heikle Verhältnis zwischen Patient:innenvertretungen und Pharma,
- lernst du zwei starke Stimmen aus der Krebscommunity kennen – mit klaren Haltungen, aber ohne Schwarz-Weiß-Denken,
- erfährst du, wie Zusammenarbeit gelingen kann – ohne dass jemand hinterher etwas serviert bekommt, das er gar nicht bestellt hat.
Für die einen ist es ein heiß diskutiertes Lieblingsdilemma, für die anderen ein absolutes Tabu: Kaum ein anderes gesundheitspolitisches Thema polarisiert so stark wie das Verhältnis von Arzneimittelfirmen zu Patient:innenvertretungen.
Viele Selbsthilfegruppen sind auf ihre finanzielle Unabhängigkeit stolz. In ihren Vereinsstatuten ist klar festgelegt, dass sie keine Kooperationen mit “der Industrie” eingehen. Die Befürchtung: dass man durch die Zusammenarbeit mit Pharmaunternehmen eigene Interessen und neutrale Positionen untergräbt. Der Grund: Diese könnten Patient:innenorganisationen dazu missbrauchen, ihre eigenen wirtschaftlichen Ziele zu verfolgen – etwa durch subtile Einflussnahme auf gesundheitspolitische Debatten, Therapieempfehlungen oder Forschungsschwerpunkte.
Gefährliche Liebschaften
Gleichzeitig stehen immer mehr Menschen mit einer Krebserfahrung dem Austausch mit Arzneimittelherstellern positiv gegenüber oder engagieren sich in onkologisch-pharmazeutischen Forschungsprojekten. Sie nehmen etwa an wissenschaftlichen Studien teil oder stellen sich als Erfahrungsexpert:innen für sogenannte Patient Advisory Boards bei der Medikamenten- und Therapieentwicklung zur Verfügung.
Während einige darin eine notwendige Weiterentwicklung hin zu einer patient:innenzentrierten Medizin sehen, warnen andere vor den Gefahren solcher Partnerschaften.
Was ist also Sache? Ist das eine moralisch vertretbar und das andere verwerflich?
Ein Fall für Kurvenkratzer!
Unser Anliegen: Wir ergreifen nicht lauthals Partei, sondern bieten ein Forum für wertschätzenden Meinungsaustausch. Unentspannte Situationen gibt es im Leben mit einer Krebserkrankung ohnehin genug, deshalb wollen wir helfen, Spannungen, die bei Reizthemen in unserer Community auftreten, zu lösen. Denn weder Streit noch Vermeidung helfen uns Krebserfahrenen dabei, die Versorgung zu verbessern oder unsere Lebensqualität zu erhöhen.
Jetzt sagst du wahrscheinlich: Klingt ja alles schön, aber was bedeutet das jetzt? Lass uns konkreter werden: Um sowohl die Position von Skeptiker:innen als auch die von Befürworter:innen zu verstehen, haben wir mit zwei engagierten Interessensvertreterinnen aus der Krebscommunity gesprochen.
Die Hauptdarstellerinnen
Vorhang auf für Elke Naujokat: Sie vertritt als Bundesvorsitzende der Frauenselbsthilfe Krebs eine der größten unabhängigen Selbsthilfeorganisationen in Deutschland. Gemeinsam mit zehn weiteren Verbänden engagiert dieser sich im Haus der Krebs-Selbsthilfe Bundesverband e.V.
In Österreich setzt sich Anita Kienesberger für ein Patient Advocacy-Modell ein, das die Zusammenarbeit mit Arzneimittelherstellern ausdrücklich begrüßt. Sie ist u.a. Vorsitzende der WeCan-Academy und der Allianz Onkologischer Patient:innenorganisationen.
Wir haben beiden dieselbe Frage gestellt: Pro oder kontra Pharma-Kooperation – ist der Graben zwischen den beiden Lagern in der Krebs-Community noch zeitgemäß, und wie kann er überbrückt werden?
Gladiator:innen bei der Arbeit
Gleich vorweg: Wer verstehen will, was “selbstloser Einsatz” bedeutet, sollte sich Patient:innenvertretungen und Selbsthilfegruppen näher ansehen. Die spielen nicht nur in der Krankheitsbewältigung in der Gladiatoren-Liga. Wenn es um die Finanzierung geht, beginnt der zweite Überlebenskampf.
In Deutschland ist die Basisförderung von Selbsthilfeorganisationen zwar gesetzlich geregelt, aber die Gelder reichen meistens nicht, um nachhaltige Projekte in der Aufklärung und Therapiebegleitung umzusetzen. Im Nachbarland Österreich gibt es gleich gar keine geregelte Finanzierung, nur Projektförderungen sind (in überschaubarem Ausmaß) möglich.
Wenn man nicht vor Verzweiflung den Kopf in den Sand stecken und in die Erde hineinmurmeln will – “Außer Spesen nichts gewesen” (hier unser gleichnamiger Artikel) –, dann muss man einfach klarsehen: Die finanzielle und organisatorische Unterstützung durch Pharmaunternehmen wird in Anspruch genommen, um Programme zu realisieren, die sonst oft nicht möglich wären.
Aber bedeutet das dann auch, man lässt sich “kaufen”?
Patient:innen und Pharma: Partnerschaft oder Abhängigkeit?
Lass uns etwas genauer hinsehen. Die Zusammenarbeit zwischen Patient:innenorganisationen und Pharmaunternehmen kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden: von der finanziellen Unterstützung für Selbsthilfegruppen über die Mitwirkung an Forschungsprojekten bis hin zur direkten Beratung in Entwicklungsprozessen neuer Medikamente.
Während Unterstützer:innen darin eine große Chance sehen, die Bedürfnisse der Patient:innen direkter in die Medizin einfließen zu lassen, warnen Kritiker:innen vor potenziellen Interessenskonflikten.
„Uns allen sollte klar sein, dass die forschende Pharmaindustrie eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung neuer Therapien spielt. Voraussetzung für eine Zusammenarbeit ist jedoch, dass die Neutralität und Unabhängigkeit der Patient:innenseite gewahrt bleiben“, betont Elke Naujokat. Sie fordert strengere Regelungen, die finanzielle Transparenz und eine strikte Trennung zwischen wirtschaftlichen Interessen und patient:innenorientierter Forschung gewährleisten.
Wie kann Unabhängigkeit gewährleistet werden? Lies weiter auf der nächsten Seite.
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Über die Serie
Stell dir vor, du hast kein Wahlrecht. Du lebst zwar in einem modernen Staat, doch es gibt niemanden, der oder die deine Interessen vertritt. Sobald du bei Entscheidungen mitreden willst, heißt es: Sorry, das geht nicht. Du bist ja kein:e Expert:in. So ähnlich könnte man den aktuellen Zustand der Patient:innenvertretung beschreiben. Okay, das Gesundheitssystem ist natürlich keine Diktatur. Tatsache ist aber, dass Patient:innen in vielen Ländern bei wesentlichen Entscheidungen kaum mitbestimmen können. Genau darum geht es in “Mit uns statt über uns”. In unserer Serie machen wir erfahrbar, warum es dringend mehr anerkannte, professionelle Patient:innenvertretungen braucht. Wir greifen das Thema in aller Tiefe auf. Zeigen Beispiele, blicken in andere Länder, entlarven die Einwände, sprechen über Vorteile und schlagen vor, wie ein Paradigmenwechsel funktionieren könnte.
Mit dieser Serie verbinden wir zwei Leidenschaften. Wir sind ein Magazin, arbeiten journalistisch und fühlen uns ausgewogener Berichterstattung verpflichtet. Wir sind aber auch Teil von euch, unserer Patient:innencommunity, und wollen mehr Mitsprache. Wir nehmen uns nichts Geringeres vor, als beides zu erreichen.