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White Paper à la Kurvenkratzer
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Patient:innenmitsprache – So wird’s gemacht

Man lädt sie ein, hört sie an – und entscheidet trotzdem über sie hinweg: Patient:innen haben in Österreich kaum Mitspracherecht. Wir sagen: Schluss damit. Dieses White Paper liefert den Plan für echte Beteiligung.

Du bist hier richtig, wenn: 

  • Du genug hast von Patient:innenbeteiligung, die nur auf dem Papier existiert. 
  • Du wissen willst, warum Betroffene in Österreich als „Laien“ gelten und deshalb nicht mitentscheiden dürfen. 
  • Du erfahren willst, wie andere Länder Patient:innen gesetzlich einbinden – und was Österreich jetzt ändern muss. 

Wir reden gern von Selbstbestimmung im Gesundheitswesen. Davon, dass Patient:innen auf Augenhöhe mitentscheiden sollen – bei ihrer Behandlung, ihrer Versorgung, ihrem Leben. Die Realität? Eine andere. 

In Österreich ist Patient:inneneinbindung gesetzlich nicht geregelt. Mal werden Patient:innen gefragt, mal nicht. Mal dürfen sie mitreden, mal bleibt die Tür zu. Und wenn sie doch geöffnet wird, dann spät, unstrukturiert und meist unverbindlich 

Wir wollten wissen: Muss das so bleiben? Geht das auch anders? Und was braucht es, damit Patient:innen in Österreich endlich mitgestalten können? Dafür haben wir eineinhalb Jahre lang recherchiert. Quer durch Europa. 

Das Ergebnis: ein White Paper mit acht konkreten Aktionsfeldern, basierend auf Recherchen, die im Rahmen der Serie „Mit uns statt über uns“ durchgeführt wurden. Wer Beteiligung ernst meint, findet hier den Einstieg. 

Wer uns kennt, weiß: Wir stehen für mündige, informierte und selbstbestimmte Patient:innen. Deshalb stellen wir dieses White Paper frei zur Verfügung. Hier bekommst du mehr Information: 

Baustelle Österreich: 

2023 wurde das österreichische Gesundheitssystem an einigen Stellen modernisiert, zumindest ein bisschen. Bei einem Punkt laufen wir aber zu Fuß dem Schnellzug hinterher: Patient:innen dürfen kaum mitreden. 

Baustelle mit rotem Kran
Österreichs Gesundheitssystem ist eine Baustelle, vor allem, wenn es um die Mitsprache von Patient:innen geht. (Foto: Pexels/Davidmcbee)

Statt selbst zu sprechen, wird über sie gesprochen. Und das meistens von Patientenanwält:innen, die vom Staat bestellt werden. Patient:innen selbst werden selten eingebunden. Und wenn doch, dann viel zu spät. Meist dann, wenn alles schon beschlossen ist. Ihre Rolle: freundlich abnicken, was andere vorbereitet haben.  

Wir finden, das reicht nicht. Es geht auch anders. Diese acht Aktionsfelder aus unserem White Paper zeigen, wie. 

Wie geht Mitsprache richtig? In 8 Schritten: 

1. Gesetz auf den Tisch legen 

Patient:innen sind oft nur ein Schlussgedanke, der letzte Punkt auf der mentalen Einkaufsliste. Dabei sind Betroffene die wichtigsten Ansprechpartner:innen, wenn es um gesundheitspolitische Entscheidungen oder die Entwicklung neuer Therapien geht.  

Was es braucht: verbindliche Regeln. Einen gesetzlichen Rahmen, der nicht nur zuhört, sondern zur Mitbestimmung verpflichtet. Denn Erfahrung ist nicht weniger wert als Fachwissen. 

Einbindung von Patient:innen ist kein Gegenvorschlag zum bestehenden System, sondern dessen Weiterentwicklung.
Anita Kienesberger

2. Gremien aufbrechen 

In Gremien, die Entscheidungen für Patient:innentreffen, sitzen selten welche drin. Wenn doch, dann oft ohne Stimme. Das muss sich ändern. Es braucht klare Mitwirkungsrechte, transparente Berufungsverfahren, verbindliche Plätze mit Stimmrecht, nicht nur symbolische Dabeisein-Mentalität. Deutschland ist hier schon einen Schritt voraus. 

White Paper Pexels Anete Lusina
In Gremien, die über Patient:innen entscheiden, sind diese selten anzufinden. Und wenn, dann meist ohne Stimme. (Foto: Pexels/Anete Lusina)

3. Mitforschen statt nur mitlaufen  

Wenn man von Forschung spricht, heißt es oft: Patient:innen nehmen teil, andere bestimmen. Dabei wissen gerade sie, was im Alltag funktioniert – und was nicht. 

Warum nicht von Anfang an mitdenken? Beim Studiendesign. Bei der Frage, was überhaupt erforscht werden soll. Es braucht klare Beteiligungskonzepte, Fortbildungen und ein System, das auf Zusammenarbeit statt Repräsentation setzt. Wie das funktionieren kann, liest du in unserem Artikel über Mitsprache in der Forschung. 

4. Patientenanwaltschaft neudenken 

Patientenanwaltschaften gelten als die Vertreter:innen von Patient:innen schlechthin in Österreich. Von Gremien bis hin zu Bewertungsboards. Der Witz? Faktisch ist die Vertretung ohne Patient:innen besetzt. 

Nicht falsch verstehen. Wir kritisieren keineswegs Patientenanwaltschaften und die wichtigen Aufgaben, die sie übernehmen.  

Das Problem, das viele Patient:innenorganisationen mit diesem System haben: Patientenanwaltschaften sind vom Staat beauftragt, nicht basisgewählt. Es braucht eine klare Trennung zwischen staatlicher Beratung und zivilgesellschaftlicher Interessenvertretung. Patient:innen müssen für sich selbst sprechen können. 

5. Laienstatus abschaffen 

Laut Gesetz gelten Patient:innenvertretungen als medizinische Laien. Damit wird ihnen ein Stein in den Weg gelegt. Sie dürfen nicht auf Kongresse, keine Infos weitergeben, nichts empfehlen. Das blockiert ihre Rolle und verhindert echte Beteiligung. 

Wer Verantwortung übernimmt, braucht Zugang zu Wissen, Netzwerken und Entscheidungen. Es braucht Ausnahmen vom Laienstatus und die Anerkennung von Erfahrung als Expertise. 

6. Einbindung messbar machen 

Stell dir vor, Patient:innen werden eingeladen, mitzuwirken, aber niemand prüft, ob sie wirklich etwas beitragen konnten. Damit Einbindung nicht nur gut gemeint, sondern gut gemacht ist, braucht es Daten: Wer wurde beteiligt? Wie? Mit welchem Ergebnis? 

Andere Länder wie Dänemark sammeln genau das: mit Umfragen, Interviews und PROMs. Dort wird Beteiligung nicht vermutet, sondern belegt. Wie Patient:inneneinbindung in anderen Ländern funktioniert, haben wir dir schon in unserem Artikel Woanders ist das Gras immer grünererklärt. Auch Österreich braucht diesen Schritt: Einbindung muss sichtbar, messbar und nachvollziehbar werden. 

7. Geld statt Applaus 

Österreichs Patient:innenvertretungen arbeiten meist ehrenamtlich. Sie sind massiv unterfinanziert und unterfördert. Das Budget ist ein Witz: 700.000 Euro für rund 1.700 Organisationen. Das sind etwa 400 Euro pro Jahr und Verein. 

kleingeld vor umgekipptem glas
Österreichs Patient:innenvertretungen sind massiv unterfinanziert und unterfördert. (Unsplash/Josh Appel)

Damit kann man kein System verändern. Statt inhaltlicher Arbeit wird die Kohle in Fundraising gesteckt. Eine faire, öffentliche Grundfinanzierung ist überfällig. Wer Beteiligung will, muss sie auch möglich machen. 

Die öffentliche Hand hält sich nobel zurück. Wir werden beklatscht, uns werden Medaillen verliehen – aber Geld steckt keines dahinter.
Thomas Derntl

8. Patient Advocacy zum Beruf machen

Patient Advocates sind in vielen Ländern wichtige Akteur:innen von gesundheitspolitischen Gremien und Diskussionen. In Österreich fehlen Ausbildung, Anerkennung und ein klarer Rahmen.

Dabei braucht es genau diese Rolle: Menschen mit Erfahrung und Fachwissen, die beides einbringen. Advocacy darf kein Ehrenamt bleiben, sondern muss als professionelle Funktion verankert werden.

Vom Reden ins Handeln kommen 

Echte Veränderung ist nur möglich, wenn wir aktiv handeln und umdenken. Patient:innen sind keine passive Zielgruppe, kein Schlussgedanke. Sie sind aktive Mitgestalter:innen mit unumgänglicher Expertise 

Wir müssen umdenken und Mitsprache gesetzlich verankern. Nicht als nette Geste, sondern als strukturelles Recht.  

Mit diesem White Paper legen wir nicht nur Ideen auf den Tisch, sondern konkrete Lösungen. Jetzt liegt es an uns allen, das Thema nicht leise zu behandeln, sondern laut zu fordern.  

Links zum Weiterlesen: 

Titelbild: Kurvenkratzer

Über die Serie

Stell dir vor, du hast kein Wahlrecht. Du lebst zwar in einem modernen Staat, doch es gibt niemanden, der oder die deine Interessen vertritt. Sobald du bei Entscheidungen mitreden willst, heißt es: Sorry, das geht nicht. Du bist ja kein:e Expert:in. So ähnlich könnte man den aktuellen Zustand der Patient:innenvertretung beschreiben. Okay, das Gesundheitssystem ist natürlich keine Diktatur. Tatsache ist aber, dass Patient:innen in vielen Ländern bei wesentlichen Entscheidungen kaum mitbestimmen können. Genau darum geht es in “Mit uns statt über uns”. In unserer Serie machen wir erfahrbar, warum es dringend mehr anerkannte, professionelle Patient:innenvertretungen braucht. Wir greifen das Thema in aller Tiefe auf. Zeigen Beispiele, blicken in andere Länder, entlarven die Einwände, sprechen über Vorteile und schlagen vor, wie ein Paradigmenwechsel funktionieren könnte.

Mit  dieser Serie verbinden wir zwei Leidenschaften. Wir sind ein Magazin, arbeiten journalistisch und fühlen uns ausgewogener Berichterstattung verpflichtet. Wir sind aber auch Teil von euch, unserer Patient:innencommunity, und wollen mehr Mitsprache. Wir nehmen uns nichts Geringeres vor, als beides zu erreichen.

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