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Narben x Krebs
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Don, der verletzliche Polizist mit den schönen Narben

Dirk Rohde, der freundlichste Polizist in Köln, hat Kopf-Hals-Mund-Krebs überlebt und jetzt zwei Narben am Hals, die das bezeugen. Mit einer Flasche Flüssignahrung in der Hand und einem Zaubertrick auf Lager ist er heute Vorbild für andere Betroffene.

Bis zum Schmerz und noch weiter 

Täglich mindestens eine Stunde lang in den Schmerz hineintrainieren, lautete nun die Devise. Den Hals drehen, bis der Schmerz kommt, und dann wieder zurück. Repeat. Jeden Tag ein bisschen mehr.  

Währenddessen brachte ihm die Logopädin wieder das Sprechen mit Zungenbrechern à la Fischers Fritz bei. „Das ist total hartes Training und klingt total beknackt.“ Aber Don hatte ein Ziel und das rechtfertigte die Mittel.  

Eine weitere Übung, die lustiger klingt, als sie war: Geschmacksrichtungen erkennen. Nach einer Chemo kein einfaches Spiel. „Egal ob Apfel, Kirsch oder Erdbeere, anfangs habe ich nicht einen Geschmack richtig erkannt.“ 

Nach einiger Zeit des täglichen Trainings hatte Don es tatsächlich geschafft, trotz seiner Schwerbehinderung wieder als Polizist zu arbeiten. Chapeau! Aber auch wenn er wichtige Fähigkeiten zurückergattert hatte, war doch nichts wie vorher und neue Grenzen taten sich auf. Die Weigerung, den neuen Stand der Dinge anzunehmen, machte anfangs vieles nur noch schlimmer.  

„Egal ob Apfel, Kirsch oder Erdbeere, anfangs habe ich nicht einen Geschmack richtig erkannt.“ 
Dirk (Don) Rohde, geschmacksverirrt nach der Chemo

„Ich kann versuchen, Dinge durch Training zu verbessern, aber irgendwann kommt der Punkt, an dem die vorhandenen Einschränkungen so bleiben, wie sie sind. Danach muss man lernen, mit dem neuen Ich zu leben“, lehrt der realistische Don. 

Ein Zustand, der sich in Dons Fall definitiv nicht mehr verbessern lässt, ist jener seiner Haut im Halsbereich. Durch die Strahlentherapie kann das Gewebe dort nur noch schlecht durchblutet werden. Die Haut um die Narben herum ist außerdem sehr sensibel und das Darüberstreichen sehr unangenehm. „Es fühlt sich in etwa so an, als würde dir so ein nerviges Etikettschildchen ständig über die Haut fahren.” Nach einem Tipp für die Narbenpflege gefragt, erwähnt Don, dass er Narbenhaut nach dem Duschen bloß mit Bodylotion eincremt, damit sie sanfter wird. 

Don auf dem Polizeimotorrad
Es gibt sicher genug Leute, die an Dons Stelle gar nicht mehr arbeiten würden, weil es zu gefährlich ist. Aber Don liebt seinen Job als Polizist und kann sich nicht vorstellen, ihn vor seiner Pensionierung aufzugeben. (Foto: Nana - Recover your smile)

Kurzgeschichte: Der verletzliche Polizist 

Nach der Krebserkrankung ist Don ist nicht mehr der Gleiche. Sein Blick ist weiter geworden und das Leben hat einen höheren Stellenwert erlangt. Das äußert sich unter anderem auf Streife. Seine unkonventionelle Art Polizist zu sein, hat ihn gar auf die Titelblätter populärer Zeitungen befördert. „Schuld“ daran sind, neben seiner neuen Sicht aufs Leben, tatsächlich seine Narben.  

Zwei autofahrende Streithähne, die sich eines Tages um eine Parklücke gebattelt und sich dabei bloß leicht gestriffen hatten, riefen die Polizei. Don war zur Stelle und musste feststellen, dass beide Autos keinerlei Schaden genommen hatten. Kein Grund, die Polizei zu rufen also.  

Mehr noch: Ein guter Grund für Don, die beiden abzustrafen. Stattdessen nahm er die immer noch zankenden Streithähne zur Seite und zeigte auf seine Narbe. „Seht ihr das? Ich hatte Krebs. Es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass ich daran sterbe. Dass ihr euch hier um gar nichts streitet, ist für mich nicht zu begreifen. Ich erwarte von euch beiden, dass ihr euch jetzt die Hand gebt und euch verträgt.“  

Baff, aber mit einem verstehenden Nicken, gaben sie sich die Hand. Zufällig mussten beide danach in die gleiche Richtung und unterhielten sich. Hoffentlich darüber, wie wertvoll das Leben doch ist.

Wie man zweckmäßig schlemmt 

Laut Don war Essen die am schwierigsten zu akzeptierende Veränderung. Weil sein Mund kaum noch Speichel produzieren kann und das Schlucken schwerfällt, ist Flüssignahrung die einzig angenehme Option. „Die Freude am Essen wurde mir genommen. Das ist der Preis, den ich bezahle, um zu überleben. Essen ist nur noch Pflicht.” Sich an diesen Umstand zu gewöhnen, erforderte einige Monate. Eine Zeit, in der er sich lange hauptsächlich vom hochkalorischen Drink Fresubin ernährte. 

Beim Dienst trägt Don deshalb eine 700ml Flasche mit sich rum. Der ominöse Inhalt hat ordentliche 900 Kalorien intus. Es ist Dons Geheimrezept, das er uns netterweise anvertraut hat. „Damit komme ich gute acht Stunden aus. Eine vollwertige Mahlzeit, die ich im Dienstwagen zu mir nehmen kann, ohne zu krümeln. Im Gegensatz zu meinen Kolleg:innen“ (lacht). 

Rezept: Dons geheimer Frühstücksbrei 

  • Instant-Haferflocken 
  • Kleingehexeltes Müsli 
  • Gemahlene Nüsse 
  • 1 Banane 
  • 1 Fläschchen Fresubin 
  • Milch 

Alles gut mixen und voilà! 

Auf der nächsten Seite erfährst du, wie Don seine zweite Chance zurückzahlt (Spoiler: indem er anderen hilft!) und wie er mit der Belastung Krebs umgeht.

Über die Serie

Jeder Mensch hat zwei Leben. Das zweite beginnt dann, wenn du realisierst, dass du nur ein Leben hast, und die Welt sich anders anfühlt. Durch den massiven Eingriff von Krebs & Co findet ein Sinneswandel statt. Falls dein Lebensweg bisher an Sinn vermissen ließ, wird das im Angesicht der Endlichkeit furchtbar klar.

Die Sinneswandel-Serie beschäftigt mit der Vielfalt an Bewältigungsstrategien, die Krebspatient:innen entwickeln, um mit all den weitreichenden Veränderungen umzugehen. Coping ist eine Kunst, und Kunst sensibilisiert die Sinne. Durch unsere Community wissen wir: Manche haben besonders kreative und authentische Ansätze gefunden. Sie haben inspirierende Geschichten gelebt, Prüfungen bestanden, schwere Entscheidungen getroffen – und wir entnehmen die Essenz dieser Lebenswege und gießen sie in tieftauchende Porträts.

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