Carsten erzählt: Wenn Krebs Freund:innen zu Geistern macht
Manche Geister kommen nicht zu Halloween, sondern mit der Krebsdiagnose: Freund:innen, die plötzlich verschwinden. Unser Psychoonkologe Carsten erklärt, warum es oft mehr mit Angst als mit Ignoranz zu tun hat.
Carsten sagt dir:
- Warum Cancer Ghosting oft aus Überforderung entsteht.
- Wie ehrliche Kommunikation helfen kann, Schweigen zu durchbrechen.
- Warum Loslassen heilsamer ist als Festhalten.
Heute habe ich zeitgemäß ein kleines Halloween-Special für Krebspatient:innen parat: Es geht um Geister. Und damit meine ich keine verlorenen Seelen, die dazu verdammt sind, die leeren Gänge verlassener Häuser heimzusuchen. Nein, ich will über Menschen reden, die sich nicht mehr melden. Freund:innen, die scheinbar der Erdboden verschluckt hat und dich mit emotionalem Gepäck zurücklassen.
Wer der englischen Sprache mächtig ist, weiß: Das informelle Substantiv dazu ist „Ghosting“. Gruselige Sache. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Ein gar nicht so schlechter ist Krebs.
Aber bevor wir uns damit beschäftigen, wieso dir in dieser eh schon prekären Lage sowas auch noch passiert und wie du damit zurechtkommst, ist es wichtig, zu wissen, was Ghosting in dem Kontext Krebs überhaupt ist. Nämlich kein Schwarz-Weiß-Film, in dem eine Seite verachtenswerterweise aus purer Ignoranz die Fackel der Freundschaft fallen lässt.
Nein, es ist vielmehr die Unfähigkeit zu kommunizieren. Und es gehören immer zwei Seiten dazu. Es ist komplex. Deswegen sind wir ja hier. Auf geht’s.
Carstens Psychoonko-Kolumne
Warum ist Carsten Psychoonkologe geworden? Grund war eine hautnahe Krebserfahrung, im zarten Alter von 24. Die Zeit war jedoch nicht nur schwer, sondern auch lehrreich. 14 Jahre nach seiner Diagnose ist er, trotz schlummernder Metastasen, das blühende Leben selbst, läuft Marathons und hilft mit seiner positiven Art und seinem ausschweifenden Wissen jungen wie alten Krebspatient:innen beim psychischen Waschgang. Jetzt auch in geschriebener Form! Das Kurvenkratzer Magazin präsentiert “Carstens Psychoonko-Kolumne” (inklusive schwarzem Humor und hochdosierter Empathie). Seine ganze krasse Geschichte kannst du hier nachlesen!
Freundschaft + Krebs = ?
Beziehungen sind wie ein Tanz – manchmal ist man sich näher, und dann wieder weiter weg. Fügt man Krebs hinzu, wird der Takt noch dynamischer: Jene, von denen man dachte, dass sie bleiben, werden weniger. Und andere, die vorher weniger präsent waren, zeigen sich plötzlich als große Unterstützer:innen. Andererseits ist Krebs wie ein kleines Erdbeben: Er rüttelt die Beziehung und zeigt, ob sie stabil ist oder nicht.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich beide Seiten überfordert fühlen, ist hoch. Was wohl am meisten herausfordert, ist, dass ihr euch beide extrem verletzlich fühlt, und nun diese Unsicherheit und Schwere aushalten müsst.
Du fragst dich vielleicht: “Bin ich schuld, dass unsere Freundschaft zerbricht?” Dabei ist es ja die Krankheit, die dazwischenkommt – etwas, wofür niemand etwas kann. Trotzdem bleibt dieses Gefühl, versagt zu haben, und das kann zusätzlich belasten. Währenddessen hat die andere Person wahrscheinlich nie gelernt, mit solcher Schwere umzugehen. Oft fehlt auf beiden Seiten die Kompetenz, mit der Situation umzugehen, und langsam, aber sicher wird die Beziehung dann nicht mehr tragfähig.
Der Brustkrebspatientin Nadine ist genau das passiert. Wir haben sie interviewt, und erfahren, was ihr dabei geholfen hat, über die Geisterfreund:innen hinauszuwachsen.
Krebs wirft dich unweigerlich aus der Bahn: Die Welt da draußen dreht sich unbeeindruckt weiter, während du immer mehr merkst, dass du mit diesem Tempo nicht mithalten kannst. Und wenn das schon für dich als Krebspatient:in schwer zu akzeptieren ist – für andere ist das manchmal unbegreiflich. Gerade bei jungen Menschen passiert das schnell – man geht nicht mehr arbeiten, und kommt nicht mehr auf Partys, und zack, ist man dem sozialen Treiben entglitten.
Aber das Schöne am Leben ist, dass sich Gleiches oft anzieht. Letztens ist jemand in unsere Selbsthilfegruppe „Jung und Krebs“ gekommen, dem durch eine einseitige Lähmung nach einem Gehirntumor der hektische Rhythmus der Welt generell zu schnell geworden ist – körperlich wie geistig. Dadurch hat er viele Freund:innen verloren.
Bei uns konnte er dann wieder Fuß fassen, Vertrauen in sich selbst finden – und erkennen: “Mit meinem neuen Ich ist nichts falsch. Die Welt dreht sich nur gerade etwas zu schnell, und ich darf mir Zeit nehmen, mich wieder anzupassen.” Das ist Teil des Heilungsprozesses: sich mit Menschen zu umgeben, die einen so akzeptieren, wie man jetzt ist.
Auf der nächsten Seite beschäftigt sich Carsten damit, was du als “Geghosteter” tun kannst, um mit den Emotionen zurechtzukommen.
- Seite 1
- Seite 2
Über die Serie
Carstens hautnahe Krebserfahrung im zarten Alter von 24 hat ihn zum Meister der krebsverwandten Gefühlswelt gemacht. 14 Jahre nach seiner Diagnose hilft er als Psychoonkologe jungen wie alten Krebspatient:innen beim psychischen Waschgang. Jetzt auch in geschriebener Form! Das Kurvenkratzer Magazin präsentiert “Carstens Psychoonko-Kolumne” (inklusive schwarzem Humor und hochdosierter Empathie).
