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Interview mit Coping-Tipps
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Cancer Ghosting: Wie Nadine mit Yoga gegen Geister vorgeht

Cancer Ghosting? Kennt Nadine nur zu gut. Denn manche Freund:innen lösen sich in Luft auf, als das Wort Krebs fällt. Doch mit der Yoga-Matte in der Hand findet sie nicht nur Frieden, sondern auch eine dicke Portion Stärke.   

Nadine Herbert Cancer Ghosting Steckbrief_Sinneswandel_Nadine
In diesem Steckbrief stellt sich Nadine vor. (Grafik: Kurvenkratzer, Fotos: Privat)

Nadine Herber hat zwei Kämpfe hinter sich. Während Krebs ein doch eher sichtbarer Kampf ist, verbirgt sich der andere dahinter. Cancer Ghosting, der abrupte Rückzug von Freund:innen und Bekannten. Heute kann Nadine das „Geistern” gut wegstecken, aber das war nicht immer so.   

Alles beginnt mit einem Paukenschlag, als Nadine im Alter von 33 die Diagnose Brustkrebs erhält. Nadine erinnert sich: „Mit der Diagnose habe ich mich gefühlt, als wäre ich aus dem fahrenden Zug geschmissen worden.” Ein Schock, der ihr Leben in ein Vorher” und ein Nachher” teilt und tiefe emotionale Spuren hinterlässt.  

„Mit der Diagnose habe ich mich gefühlt, als wäre ich aus dem fahrenden Zug geschmissen worden.”
Nadine Herber

Doch Nadine ist keine Frau, die sich so leicht unterkriegen lässt. Nach 16 Zyklen Chemotherapie und mehreren Operationen, die ihr Körper tapfer erträgt, schlägt sie den Krebs in die Flucht. Der Weg dahin ist aber alles andere als einfach.  

Zunächst heißt es brusterhaltend”, drei Herde in der Brust ändern den Plan aber. Nach Implantat, Bestrahlung und darauffolgender Kapselfibrose, einer Gewerbeverhärtung in der Brust, fällt Nadine schließlich die Entscheidung, das Implantat zu entfernen. „Jetzt kann ich meinen Körper wieder gut spüren.” 

Buuuh – Cancer Ghosting! 

Unfreiwillig entfernt hat sie sich hingegen von Menschen aus ihrem Umfeld. Obwohl man Ghosting normalerweise vom schiefgelaufenen Tinderdate kennt (unangenehm, aber schnell vergessen), geht es in diesem Fall um weit mehr als das. Denn Nadine ist nicht mit einer schlechten Date-Erfahrung konfrontiert, sondern mit Cancer Ghosting. 

Und das ist um einiges schmerzhafter. Freund:innen und Bekannte verschwinden plötzlich, wenn man krank wird.  

Nadine erlebt, wie ihr soziales Netzwerk bröckelt, wie sich Menschen, die ihr einst nahestanden, in Luft auflösen. „Es gab auch Leute, die mir gesagt haben, dass der Krebs nicht so schlimm ist. Ich kann nicht begreifen, wie Menschen solche Worte wählen können.”   

Das Verständnis für den Krebs fehlt: Denn, obwohl sie an manchen Tagen endlos Energie aufbringen kann und auf Festivals ihre Hüften schwingt, fehlt ihr an anderen Tagen die Kraft. Statt auf Einfühlungsvermögen stößt sie auf Wut – und dann auf Funkstille.  

 

„Also ich bin auf jeden Fall vorsichtiger geworden, was Zwischenmenschliches angeht.”
Nadine Herber

Anfangs ist es ein Schock, ein weiterer Schlag ins Gesicht in einer Zeit, die bereits von Unsicherheit und Angst geprägt ist. Also ich bin auf jeden Fall vorsichtiger geworden, was Zwischenmenschliches angeht.” Doch Nadine lässt sich nicht unterkriegen. Sie erkennt, wer die Menschen sind, die wirklich zählen. Die anderen sind halt Beiwerk”, fügt sie achselzuckend hinzu. Das nennen wir eine gesunde Einstellung!  

Nicht alle Geister sind gruselig 

Obwohl sie achtsamer mit Freundschaften umgeht”, wie sie sagt, findet Nadine es trotzdem wichtig, das Thema nicht unter den Teppich zu kehren. Gefühle in den Vordergrund, sagt sich so leicht, klappt „aber erst, als mir das keine Kraft mehr geraubt hat.”  

Das Gespräch zu den Menschen zu suchen und sich mit den eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen, sei es in Form von Tagebuch schreiben, Gesprächen mit Psychoonkolog:innen oder Gleichgesinnten: Dem eigenen Ratschlag gefolgt, hat sich Nadine bei ihrer Freundin gemeldet, mit der sie heute wieder in Kontakt ist, wenn auch mit mehr Vorsicht.

Nadine Und Ihr Mann
Ihr Mann und ihre engsten Freund:innen waren eine große Stütze für Nadine. (Foto: Privat)

Ein kleiner Kreis aus Gold 

„Menschen sind unterschiedlich“, sagt Nadine, „ob ich das jetzt verstehen, respektieren oder akzeptieren muss, ist eine andere Frage.“ Inmitten des Sturms entdeckt sie, wer die wahren Schätze sind: ein kleiner, aber feiner – und vor allem treuer – Kreis aus Familie und Freund:innen 

Es sind diejenigen, die bleiben, wenn das Leben seine hässlichsten Seiten zeigt. Es sind die Menschen, die nicht nur mit Worten, sondern mit Taten unterstützen. „Ich habe Freund:innen, die standen dann einfach mit Suppentopf vor meiner Tür, sind mit dem Hund rausgegangen oder haben mit meinem Kind gespielt.”  

Reiselust und Retreats 

Krebs hin oder her – Nadine lässt sich nicht einschüchtern. Ihre Reiselust erstreckt sich über die ganze Familie und lässt selbst den miesesten Peter neidisch durch ihren Instragram-Feed swipen. „Ich durfte schon einiges in der Welt sehen.” Essen ist zwar ihr Ankerpunkt, doch ihre Seele fühlt sich erst auf Reisen so richtig zu Hause – Indien, Thailand, Kambodscha und Amerika.

Früher mit dem Rucksack unterwegs, reist sie heute lieber mit Van – Mann und Kind an Bord.  

Nadine im Urlaub.
Vor allem ibiza hat es Nadine angetan. Dort muss sie mindestens einmal im Jahr zurückkommen. (Foto: Privat)

Nadine ist nicht nur eine leidenschaftliche Reisende, sondern steht auch gerne vor der Kamera. „Jetzt im Alter langsam nicht mehr so viel”, gibt sie zu und lacht. Trotzdem macht sie immer noch gern schöne Fotos von sich und teilt sie stolz im Internet. So kann sie wichtige Momente festhalten oder sich einfach gut fühlen.  

Auf der nächsten Seite erfährst du, wie Yoga das Leben von Nadine bereichert und was sich durch das Ghosting für sie geändert hat.  

Über die Serie

Jeder Mensch hat zwei Leben. Das zweite beginnt dann, wenn du realisierst, dass du nur ein Leben hast, und die Welt sich anders anfühlt. Durch den massiven Eingriff von Krebs & Co findet ein Sinneswandel statt. Falls dein Lebensweg bisher an Sinn vermissen ließ, wird das im Angesicht der Endlichkeit furchtbar klar.

Die Sinneswandel-Serie beschäftigt mit der Vielfalt an Bewältigungsstrategien, die Krebspatient:innen entwickeln, um mit all den weitreichenden Veränderungen umzugehen. Coping ist eine Kunst, und Kunst sensibilisiert die Sinne. Durch unsere Community wissen wir: Manche haben besonders kreative und authentische Ansätze gefunden. Sie haben inspirierende Geschichten gelebt, Prüfungen bestanden, schwere Entscheidungen getroffen – und wir entnehmen die Essenz dieser Lebenswege und gießen sie in tieftauchende Porträts.

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