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Carstens Psychoonkologie-Kolumne
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Carsten erzählt: Wenn Krebs Freund:innen zu Geistern macht

Manche Geister kommen nicht zu Halloween, sondern mit der Krebsdiagnose: Freund:innen, die plötzlich verschwinden. Unser Psychoonkologe Carsten erklärt, warum es oft mehr mit Angst als mit Ignoranz zu tun hat.

Seite 2/2: Auf dieser Seite verklickert dir Carsten ein paar Tipps, wie man mit Ghosting umgehen kann.

Wenn Abstand Schutz bedeutet 

Manchmal ist Ghosten auch eine Form von Selbstschutz – oft steckt Angst dahinter: Angst, etwas Falsches zu sagen, vor dem Leid des anderen oder vor dem eigenen Schmerz. Wer selbst Traumata erlebt hat, reagiert mit Rückzug, weil er sich nicht zutraut, die Situation auszuhalten. Das ist zwar nicht der richtige Weg, aber nachvollziehbar. 

Auch das Tabu rund um Krankheit, Tod und Sterben spielt eine Rolle. Manche Menschen schützen sich, indem sie auf Abstand gehen – aus Überforderung oder Hilflosigkeit. Schon das Eingeständnis „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“ kann ein erster Schritt sein, wieder ehrlich in Kontakt zu treten. Und wenn man für sich akzeptiert, dass der Rückzug damals die einzige Möglichkeit war, mit der Situation umzugehen, kann das heilsam sein. 

Keine Kommunikation ist auch Kommunikation 

Manchmal ist es auch so, dass du bestimmte Entscheidungen triffst oder Verhaltensweisen zeigst, die für die andere Person unverständlich sind. Ihr kritisches Auge öffnet sich. Sie denkt sich: „Das ist ein Weg, der nicht mit meinen Werten übereinstimmt“.  

Frau vor gelbem Hintergrund mit blauem Tape über dem Mund
Keine unbekannte Wahrheit: Keine Kommunikation ist auch Kommunikation. (Foto: Unsplash/Brian Wangenheim)

In solchen Fällen kann es vorkommen, dass jemand den Kontakt abbricht, um der anderen Person zu zeigen: „Hey, das, was du da gerade machst, finde ich nicht gut, und ich kann das nicht mit ansehen.“ So etwas kann als Weckruf gemeint sein. Man kann also auch mit positiver Intention „ghosten“, wenn man denkt, dass es der anderen Person hilft.  

Aber idealerweise kommuniziert man das – denn dann ist es keine Sprachlosigkeit, sondern eben eine Form von Kommunikation. Selbst Schweigen ist eine Botschaft. 

Es zu Papier bringen 

Also: Was tun, wenn sich jemand nicht meldet? Mein erster Gedanke ist es, eine Nachricht zu schreiben. Nicht aus Verzweiflung, sondern als bewusste Aussprache.  Nicht, um die andere Person zurückzuholen, sondern um Frieden zu finden. Um Dinge zu sagen, die einem wichtig sind. 

Ich habe das selbst einmal gemacht bei einem Freund. Er hat mich nie in der Klinik besucht, weil er meinte, dort sei zu viel Leid. Das war schwer für mich. Nach einiger Zeit habe ich ihm geschrieben, dass ich mich nicht unterstützt fühle und solche Menschen nicht in meinem Umfeld haben möchte. Er war einer meiner besten Freunde – und natürlich war das traurig, aber auch befreiend. 

Schild Goodbye Friends
Auf Wiedersehen, Freund:innen: Vorübergehend oder für immer - das kann durchaus befreiend wirken, wenn die Freundschaft nicht mehr das ist, was sie mal war. (Foto: Unsplash/Jan Tinneberg)

So ein Abschluss kann tatsächlich heilend wirken. Er gibt einem ein Stück Autonomie zurück – man entscheidet selbst, dass etwas endet, und nimmt damit wieder Handlungsspielraum ein. 

Aber: Ich glaube, es muss dabei nicht immer um das endgültige Beenden einer Beziehung gehen, sondern darum, das zu sagen, was noch gesagt werden muss – weil man spürt, dass man vielleicht keine weitere Gelegenheit bekommt. Ein Eindruck braucht einen Ausdruck. Wenn man merkt, dass in einer Beziehung etwas nicht mehr stimmt, kann der Ausdruck sein, zu sagen: „Im Moment tut mir diese Beziehung nicht gut. Vielleicht ändert sich das irgendwann, aber gerade jetzt geht es nicht.“ 

Willst du mehr Tipps, wie du mit Cancer Ghosting umgehen kannst? In diesem Artikel haben wir einige Menschen befragt, was ihnen passiert ist und wie sie damit zurechtgekommen sind. 

Die Karten werden neu gemischt 

Und dann bleibt noch die Frage: Wenn du geghostet wirst, was machst du daraus? 

Ich selbst habe durch die Krankheit wichtige Menschen verloren, aber wiederum auch viele Menschen kennengelernt, zu denen sich eine Tiefe entwickelt hat, die ich in meinem alten Umfeld nie hatte. Das sind die „neu gemischten Karten“ 

Egal auf welcher Seite dieser Geisterei man steht, wir müssen alle lernen, zwischen der äußeren Wahrnehmung und der inneren Realität zu unterscheiden. Genauso wie wir lernen müssen, einfach da zu sein – ohne immer etwas „besser machen“ zu wollen. 

Das ist eine der größten Herausforderungen – und vielleicht auch eine der wichtigsten Lernaufgaben: auszuhalten, dass Dinge schwer sind. 

Am Ende ist es genau das, was verbindet. 

Quellen & Links:  

Titelbild: Britt Schilling/Kurvenkratzer 

Über die Serie

Carstens hautnahe Krebserfahrung im zarten Alter von 24 hat ihn zum Meister der krebsverwandten Gefühlswelt gemacht. 14 Jahre nach seiner Diagnose hilft er als Psychoonkologe jungen wie alten Krebspatient:innen beim psychischen Waschgang. Jetzt auch in geschriebener Form! Das Kurvenkratzer Magazin präsentiert “Carstens Psychoonko-Kolumne” (inklusive schwarzem Humor und hochdosierter Empathie). 

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