Krebs ist ein Lebensumstand, den es zu integrieren gilt!
Das Leben nach Krebs: Die primäre Behandlung ist vorbei, der Krebs ist weg. Gesund fühlen tut man sich nicht. Eine ganz persönliche Sicht auf das Leben nach der Krebsbehandlung.
„Gratuliere, Sie sind krebsfrei!“ – Eigentlich eine gute Nachricht. Das Ziel unendlich vieler schlafloser Nächte ist erreicht. Das Wort der Stunde: Rekonvaleszenz. Schnell wieder fit werden. Denn darauf warten alle. Man will mit der Sache abschließen. Aufarbeiten. Vergessen. Um endlich wieder zur Tagesordnung übergehen zu können. „Bald sind Sie wieder die Alte“, versichert der Arzt. Bloß: Warum fühlt es sich dann überhaupt gar nicht so an?
„Jetzt ist es geschafft“, denke ich mir am Tag meiner letzten Bestrahlung. „OP, Chemo, Bestrahlung. Alles vorbei. Ab nun geht es aufwärts.“ Die wenigen Tabletten, die morgentliches Müsli kulinarisch begleiten, gehen runter wie Öl. Ich fühle mich schwach. Der Kampf ist vorbei und ich merke, wie langsam die Spannung nachlässt. Bald schon können die Feierlichkeiten beginnen. Bald.
Wenige Wochen später bin ich verwirrt. Dann irritiert. Irgendwann verzweifelt. Mein Körper ist alt geworden. Die ersten Schritte nach dem Aufstehen schaffe ich kaum aufrecht. Meine Hände sind taub und schmerzen. Manchmal tagelang. Ich übe mich wieder im Lesen. Lange Zeit fehlte mir die Konzentrationsfähigkeit dazu. „Chemonebel“ nennt sich das. Muss man aber auch erst wissen.
Die Gegenwart anderer Menschen fordert mich und zwingt mich nach kurzer Zeit ins Bett. Ich muss meine Batterien neu aufladen. Manchmal dauert das ein paar Stunden, manchmal sind es Tage. Nesselausschlag. Zuerst mehrmals wöchentlich, dann nimmt er Gott sei Dank ab. Mein Körper ist überfordert.
„Bewegung tut gut!“, sagt man mir. „Kein Problem“, denke ich, „schließlich bin ich ja jetzt wieder gesund.“ Kurze Zeit später lande ich wieder energielos im Bett. Begleitet von der ständigen Angst der Wiedererkrankung.
Acht Wochen nach Ende der primären Behandlung breche ich emotional zusammen. Die Menschen um mich herum wundern sich. „Endlich ist es geschafft und du lässt dich so hängen? Reiß dich zusammen!“ Damals wusste ich nicht, dass was ich durchmache, ganz normal ist.
Ich kämpfe mich zurück in mein neues altes Leben. Glücklicherweise kann ich schrittweise wieder in meinen Job einsteigen. Ich bin mir bewusst, dass es sich dabei um ein großes Privileg handelt. Vielen geht es anders. Denn die Wiedereingliederung in Österreich ist nach wie vor nur mangelhaft geregelt. Sie ist nicht vorbereitet auf die mangelnde Konzentrationsfähigkeit, die fehlende Kraft und die geringe Belastbarkeit nach vielen Monaten Krankenstand.
Heute, zehn Jahre später, weiß ich: Der Krebs war nicht nur für kurze Zeit Teil meines Lebens; er ist ein Lebensumstand geworden. Und diesen gilt es zu integrieren. Sowohl in mein Leben als auch in das Leben meines Umfelds.
Zwischen Konzentrationsschwäche und Dankbarkeit
Mein Körperbewusstsein hat sich verändert. Ernährung, Bewegung und Wohlbefinden haben einen neuen Stellenwert: Ich ernähre mich anders, mache regelmäßiger Sport. Glücklich sein spielt eine große Rolle in meinem Leben. Mein Leben hat an Wert gewonnen. Beziehungen sind mir wichtiger geworden, jedoch lebe ich ein wenig zurückgezogener. Ich versuche im Hier und Jetzt zu leben. Konflikte versuche ich zu meiden. Meistens sind diese es ohnehin die aufgebrachte Energie nicht wert.
Auch noch Jahre nach meiner Erkrankung sind Folgen spürbar. „Fatigue“, Erschöpfungszustände und anhaltende Müdigkeit sind, zusammen mit immer wiederkehrenden Knochenschmerzen, Konzentrationsschwäche und der Angst vor dem erneuten Erkranken, ständige Begleiter.
Ich versuche sie liebevoll zu umarmen und in mein Leben zu integrieren. Immer gelingt es nicht. Trotz allem bin ich dankbar. Dankbar für mein wunderschönes Leben. Dankbar dafür, dass ich noch lebe. Mein Leben hat sich von Grund auf verändert, aber ich inhaliere jede Sekunde, die mir davon geschenkt wird, mit größter Freude.
Über die Serie
Was bedeutet Krebs für Mensch und Gesellschaft? Wie verändert die Digitalisierung den Umgang mit schweren Erkrankungen? Und vor allem: Wie kann man diese nutzen, um einen Mehrwert zu schaffen? Themen wie diese gehören aufs Tapet gebracht und aus einer betroffenenzentrierten Sichtweise diskutiert.