Carsten erzählt: Wie du Angehörige mit Krebs unterstützt
Als Psychoonkologe und Betroffener weiß Carsten Witte: Es gibt kein Patentrezept für den Umgang mit Freund:innen, die Krebs haben. Aber sehr wohl ein paar hilfreiche Gedanken, wie Angehörige wirklich unterstützen können.
Was dir Carsten in dieser Kolumne verklickert:
- Wie ihr gemeinsam aushaltet, statt krampfhaft zu verbessern
- Warum Hilfe konkret sein muss
- Warum du nicht perfekt, sondern ehrlich sein musst
„Wie kann ich helfen, was kann ich sagen?” – zwei der häufigsten Fragen, die mir Angehörige von Krebspatient:innen stellen. Da zu sein, zu unterstützen und zu kommunizieren, ohne Bullshit-Bingo zu spielen, ist kein einfaches Unterfangen, wenn man Krebsbetroffenheit zum ersten Mal abbekommt. Erstmal wie ein besoffener Elefant im Porzellanladen der Kommunikation herumstolpern – kommt vor.
Gleich vorweg: Es gibt hier kein eindeutiges Richtig und kein Falsch, kein Einmaleins der Krebssprache. Denn wie immer sind die Ansätze genauso individuell wie die Menschen selbst. Aber es gibt Muster und Unsicherheiten, die vermeidbar sind. Die eigene Krebsdiagnose, und mindestens genauso sehr meine Arbeit als Psychoonkologe, haben mich da einiges gelehrt.
Deshalb will ich heute mal aus dem Nähkästchen plaudern, was mir aufgefallen ist und wie man als Angehörige:r wirklich helfen kann.
Du bist Angehörige:r, Freund:in oder Bekannte:r einer Person mit Krebs? Dann gratulieren wir dir herzlich – denn in unserer Serie “Pflegen für Anfänger:innen” dreht sich alles mal um DICH! Wir geben Pflegenden eine Bühne, lassen sie zu Wort kommen und teilen ihre Geschichten: von Sorgen, Überforderung, Tabus, Reality-Checks – bis hin zu den kleinen und großen Erfolgen in der Pflege.
Mach den Ehrlichkeitstanz
Erste Reaktion ist oft, die Situation sofort verbessern zu wollen. Noble Absichten, aber hier wird gleichmal ein wichtiger Schritt übersprungen. Mein Tipp: Haltet doch mal aus, dass gerade alles kacke ist, dass man keine Worte findet. Goldstandard ist es, als Angehörige:r zuzugeben: „Ey, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ Punkt.
Platz lassen, zuhören. Das macht den Raum auf und gibt den Ball zurück an den oder die Betroffene:n: „Jetzt bist du dran – was sagst du dazu?“ Macht einen Tanz draus. „Du gehst einen Schritt, ich gehe einen Schritt mit, und dann wieder in meine Richtung“ – ein dynamisches Hin und Her, das zum gemeinsamen Verarbeiten beiträgt. Ich finde das ganz wichtig.
Das ist mein Learning, gerade auch als Psychoonkologe: Ich habe nicht vorrangig die Absicht, die Situation der Patient:innen (kurzfristig) zu verbessern. Natürlich wäre das schön, aber mir geht es erstmal darum, dass Dinge da sein dürfen, die einfach da sind. Weil Wut und Trauer unvermeidbar sind, muss es auch erst mal wütend, traurig und scheiße sein – bevor man sich dem Umgang damit widmen kann.
Tipp: Fragen für jede Situation
Angehörige können drei Dinge fragen – „Willst du alleine sein, willst du reden, oder brauchst du Ablenkung?“ Das kann man in jeder Situation fragen, nicht nur bei Krebs. Frage: “Brauchst du gerade deine Zeit, weil du in deiner Gefühlswelt bist und noch gar nicht kommunizieren kannst?” oder: „Willst du Ablenkung oder drüber reden?“
Mission Normalität
Die sozialen Rollen reduzieren sich in der Krankheit enorm. Die Patient:innenrolle wird zur dominierenden Rolle. Angehörige können helfen, auch die anderen Rollen der Person zu bewahren – als Schwester, Bruder, Arbeitskolleg:in, Fußballfan, was auch immer. Es geht darum, sich wieder als ganzer, normaler Mensch zu fühlen, nicht nur als Patient:in.
Tipp: Sprache prägt die Rolle
Allein die Sprache macht schon einen großen Unterschied. Ich sage lieber „eine Person mit einer Krebserkrankung“ als einfach nur Patient, oder Patientin, weil das weniger auf diese eine Rolle reduziert. Auch Begriffe wie „Klient oder Klientin“ klingen für mich eher distanziert. Verbindung ist, was wir wollen.
Ich erinnere mich, ich war vor meiner OP allein in einer Klinik in Münster, weil ich aus Freiburg komme und keiner dort war – außer einem Kumpel aus dem Ruhrpott, der mir meine Lieblingspizza mitgebracht hat.
Dieses leckere Stück Normalität neben dem Krankenhausessen war Gold wert. Oder einfach Freunde, die mit ihrem Hund zu Besuch kommen (ich liebe Hunde!), das holt einen aus diesem Klinikalltag heraus. Gespräche über das Wetter, Fußball, Nachbarschaftstratsch – wie schön es manchmal sein kann, sich über Kleinigkeiten aufzuregen! All das bringt Normalität in den sorgenüberwuchterten Kopf.
Willst du die Perspektivenrochade machen? Hier erfährst du, was Patient:innen über Angehörige wissen sollten.
Emotionaler TÜV
Angehörige ziehen sich vielleicht zurück, weil sie sich dem emotionalen Strudel von Trauer, Angst und Schmerzen nicht aussetzen wollen. Aber man kann anderen nur begegnen, wie man sich selbst begegnet. Wer seine eigenen Gefühle verdrängt, kann sich auch anderen nicht wirklich zuwenden.
Wenn du jemanden, der Krebs hat, fragst „Wie geht es dir wirklich?“, dann bekommst du vielleicht eine Antwort, mit der du nicht umgehen kannst. Falls dem so ist, ist es voll-komm-en in Ordnung zu sagen: „Ich bin überfordert, ich weiß gerade nicht, wie ich helfen soll.“ Diese Selbstoffenbarung ist das Menschlichste, was du tun kannst.
Es ist nicht so wichtig, dass du die perfekten Worte findest oder stark bist. Es reicht, ehrlich zu sein. Ehrlich zu sein und Hilflosigkeit zuzugeben, ist oft tröstlicher als jedes gut gemeinte Aufmuntern. Es braucht keine krampfhaften Ratschläge, keine ungefragten Tipps. Denn echte Menschlichkeit zeigt sich nicht in der Lösung, sondern im Aushalten – gemeinsam, mit allem, was ist. So viel zur emotionalen Hilfe.
Heilung mit Putzplan
Wenn du handfest aushelfen willst, gilt: Je konkreter die Hilfe, desto besser. Ich sage immer, dass man sich an einen imaginären Tisch setzen soll – Patient:in und das soziale Umfeld – und Aufgaben verteilt.
Denn Angehörige wollen helfen, wissen aber oft nicht wie. Wenn sie aber eine klare Aufgabe bekommen – zum Beispiel freitags zu putzen – dann können sie konkret beitragen. Das gibt das Gefühl, Teil der Bewältigung dieser schweren Krankheit zu sein. Jemandem die Wohnung zu putzen, der es selbst gerade nicht kann, entlastet enorm. So wird man ein Teil des Heilungsprozesses.
Krebs betrifft nicht nur den Körper, sondern auch Geist, Seele, das soziale und berufliche Umfeld, letztlich sogar die Gesellschaft. Und wenn das ganze System betroffen ist, kann auch das ganze System zur Heilung beitragen. Gesellschaftlich geschieht das etwa über soziale Absicherung – Krankengeld und so weiter. Im privaten Umfeld geht es um praktische Hilfe.
Wenn du als Patient:in wissen willst, wie du effektiv Aufgaben verteilst, dann hat der pflegende Angehörige Robert hier ein paar tolle Tipps für dich.
Es muss menscheln!
Was ich realisiert habe: Die Kraft liegt meist im Kleinen – im Platz lassen, einem Stück Pizza oder einfach einem ehrlichen „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Als Angehörige:r musst du nicht alles richtig machen, das erwartet niemand von dir. Aber wenn du da und echt bist, dann bist du oft schon genau das, was ein Mensch mit Krebserkrankung gerade braucht.
Quellen und Links zum Weiterlesen:
- Du willst Carsten bewegt und in Farbe? Seine Psychoonkolumne gibt es auch im Reelformat auf unserem Instagram-Kanal.
- Carstens Verein „Jung und Krebs e.V.“ verbindet junge Krebsbetroffene in und um Freiburg.
- Auf seinem Instagram-Kanal spricht Carsten frei über seine Krebserfahrung (und läuft Marathons, als gäbe es kein Morgen).
Über die Serie
Carstens hautnahe Krebserfahrung im zarten Alter von 24 hat ihn zum Meister der krebsverwandten Gefühlswelt gemacht. 14 Jahre nach seiner Diagnose hilft er als Psychoonkologe jungen wie alten Krebspatient:innen beim psychischen Waschgang. Jetzt auch in geschriebener Form! Das Kurvenkratzer Magazin präsentiert “Carstens Psychoonko-Kolumne” (inklusive schwarzem Humor und hochdosierter Empathie).