Warum im Brustkrebsmonat nicht nur die Brüste im Fokus stehen sollten
Im Brustkrebsmonat Oktober ist oft der Körper im Mittelpunkt. Viele Kampagnen setzen auf Nacktheit als Schockeffekt – wir sagen dir, was daran problematisch ist, und worum es eigentlich gehen sollte.
Worüber wir sprechen:
- Wie Kampagnen im Brustkrebsmonat oft Körper statt Menschen in den Vordergrund rücken.
- Beispiele von Kampagnen, die zwischen Empowerment und Marketing schwanken.
- Warum echte Awareness Geschichten und Aufklärung braucht.
Der Oktober ist pink. Für alle, die mit Brustkrebs in Berührung gekommen sind, bedeutet das: Schleifen, Spendenaktionen, Kampagnen und Awareness-Posts. Die Idee dahinter ist zweifelsohne sinnvoll: Brustkrebs sichtbar machen, Betroffene unterstützen, zur Vorsorge motivieren.
Aber wer etwas genauer hinsieht, mag vielleicht hier und da das Gefühl bekommen: „Hey, geht’s hier überhaupt um Aufklärung? Ich sehe hauptsächlich nackte Haut.“ Oft stehen nämlich nicht die Menschen im Vordergrund, sondern ihre Körper – und manchmal auch wirklich NUR Brüste, oder was davon übriggeblieben ist.
Oft gut gemeint, aber auch oft oberflächlich inszeniert. Kann es sein, dass Brustkrebs ein Image-Problem hat?
Zwischen Empowerment und Exhibitionismus
Dieser Spagat kann schwierig sein, wie zahlreiche Kampagnen zeigen:
Das Paradebeispiel für “gut gemeint, fragwürdig ausgeführt” ist der allseits bekannte “No-Bra-Day”, der am 13. Oktober die Hashtags dominiert. Dass Frauen für (mindestens) einen Tag keinen BH tragen wollen, ist an sich super. Dass damit auf Brustkrebs-Vorsorge aufmerksam gemacht werden soll, auch keine Schande.
In der Praxis verwandelt sich das Ganze jedoch oft in eine Hashtag-Parade sexualisierter Selfies. Statt Aufklärung oder Solidarität entsteht ein digitaler Catwalk, der nichts über Vorsorge oder das Leben mit einer Diagnose aussagt. Für wahre Betroffene kann das frustrierend sein: Ihre Realität wird überdeckt von einer oberflächlichen „Awareness“, die den Körper zum Blickfang macht, ohne echte Informationen zu liefern.
Die Kampagne „Check it before it’s removed“ von Pink Ribbon Deutschland stellt ein gutes Beispiel dafür dar, wie Brustkrebsprävention über absichtlich provokative Bildsprache inszeniert wird.
Der Slogan ist nämlich ein Hinweis darauf, dass die Bilder aufgrund der offenherzigen Nippelschau wahrscheinlich bald von den Social-Media-Plattformen runtergenommen werden, weil sie gegen deren Richtlinie verstoßen. Gewitzt! So weit, so frech.
Nur verschiebt sich der Fokus vom Thema Selbstuntersuchung hin zum „Skandalwert“ der Nacktheit. Statt über Früherkennung zu sprechen, diskutiert die Öffentlichkeit vor allem über Social-Media-Zensur und Tabubrüche. Der kurzfristige Schockeffekt mag Aufmerksamkeit generieren, doch fraglich bleibt, ob das tatsächlich zu nachhaltiger Aufklärung beiträgt, oder ob die Kampagne vor allem als provokanter Werbegag in Erinnerung bleibt.
“Die öffentliche Debatte über Sexismus und Doppelmoral bei der Zensur weiblicher Körper war ein Begleiteffekt unserer Kampagne, den wir durchaus positiv bewerten – Facebook wurde ja unter anderem dafür kritisiert, dass es ästhetische und aufklärende Bilder von Brüsten entfernte, während sexualisierte Inhalte oft toleriert wurden.
Natürlich ging es darum, durch die Aktion maximale Aufmerksamkeit für das Thema Früherkennung zu schaffen. Das ist gelungen. Die erreichten Kontakte lagen im zweistelligen Millionenbereich.
Wie „nachhaltig“ die Kampagne gewesen ist? Klar ist: Ein punktuell hohes Medienecho reicht nicht aus. Das Thema ist bei vielen Menschen schnell wieder aus den Köpfen. Deswegen suchen wir kontinuierlich nach Wegen, Frauen (und auch Männer) sanft daran zu erinnern. Und wir sind der Ansicht, dass ein bisschen Provokation in diesem Fall erlaubt ist – denn sie rettet Leben.”
Weniger Skandal, mehr Masse: Beim “The Grace Project” hat es sich die US-amerikanische Fotografin Charise Isis zur Aufgabe gemacht, 800 Frauen in reduzierter Bildsprache zu porträtieren, mit Fokus auf Körper, Form und Makel, und rückt damit Fragen von Selbstwert und Identität in den Mittelpunkt. Die 800 steht für die Gesamtzahl der Frauen, die täglich in den USA mit Brustkrebs diagnostiziert werden.
Das Ziel ist es, Bewusstsein zu schaffen, Hemmschwellen abzubauen und Transparenz zu fördern. Hier steht am Ende erneut der Körper im Fokus, und nicht die Person, die mit Brustkrebs lebt.
Was daran problematisch ist
Diese Beispiele zeigen, wie stark die Logik der Aufmerksamkeit mit Körperbildern arbeitet. Am Papier wird zwar nicht sexualisiert, sondern Awareness geschaffen. In der Praxis ist jedoch dahingestellt, welche Nachricht im Endeffekt bei der breiten Öffentlichkeit ankommt.
Immerhin fehlt in jedem der oben genannten Fälle die Geschichte zum Gesichte. Und so schwant uns immer öfter die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt. Und ob es sinnvoll ist, Körper isoliert in Szene zu setzen, während die Geschichten und Persönlichkeiten in den Hintergrund rücken?
Hinzu kommt, dass Marken und Organisationen nicht selten von der Aufmerksamkeit profitieren, während Betroffene nur bedingt etwas davon haben.
Hast du gewusst, dass der „Pink Oktober“ schon seit den 80ern mit Brustkrebs verbunden wird? Genug Zeit, um was zu bewirken. Aber was hat er eigentlich bewirkt? Im verlinkten Artikel erfährst du es!
Alles hat seine Vor- und Nachteile
Aber wir sind uns bewusst: So einfach ist die Sache nicht. Mit diesen Kampagnen wird immerhin das vielzitierte Tabu gebrochen: Gerade die Folgen einer Brustoperation zu zeigen, entspricht nicht dem Schönheitsideal. Das ist provokant und hinterfragt normative Denkweisen – und das finden wir grundsätzlich toll.
Sichtbarkeit kann Tabus brechen, Selbstbewusstsein stärken und anderen Mut machen. Für viele Betroffene kann es auch befähigend sein, zum neuen Körper zu stehen. Aber Empowerment sollte nicht mit Aufmerksamkeit verwechselt werden.
Für uns ist der entscheidende Unterschied: Wer erzählt hier die Geschichte – die Betroffenen selbst oder eine Kampagne, die versucht Aufmerksamkeit zu generieren? Werden Brüste und Körper isoliert inszeniert, oder die persönliche Realität in den Vordergrund gestellt, um wahre Aufklärung zu bewirken?
Wir plädieren für: mehr Mensch!
Was uns bleibt, ist deshalb eine Forderung: Kampagnen sollten die Perspektiven der Betroffenen ins Zentrum stellen, nicht ihre Körper als Projektionsfläche. Vielfalt muss darüber hinaus sichtbar werden – nicht nur die „fotogensten“ Narben, sondern alle Lebensrealitäten. Geschichten und Erfahrungen gehören als Inspirationsfaktor genauso in die Öffentlichkeit wie Körperbilder. Vor allem aber sollte Aufklärung an erster Stelle stehen.
Der Brustkrebsmonat ist wichtig. Aber echte Awareness entsteht nicht durch nackte Haut, sondern durch empathische, respektvolle Sichtbarkeit der Menschen, die mit Krebs leben.
Quellen und Links:
- Das Grace Project hat 800 Frauen nach Brustkrebs porträtiert.
- Pink Ribbon Deutschland hat 2016 mit der Kampagne “Check it before it’s removed” große Wellen in den sozialen Medien geschlagen.
- Der No-Bra-Day am 13. Oktober will Awareness schaffen – landet aber oft als Hashtag-Parade ohne echten Aufklärungswert.
- Wir haben gemeinsam mit dem Verein Metastasierter Brustkrebs Schweiz (MBKS), die LEBEN-Kampagne ins Leben gerufen, die die Realität von Menschen mit Metastasen sichtbar machen soll.
Titelbild: Pexels/Laker
