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Wenn Freundschaften plötzlich enden
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Cancer Ghosting – die große Aussortierung

Laut einer Studie von War on Cancer, einem sozialen Netzwerk für Krebspatient:innen, gaben 65 Prozent der Befragten an, nach ihrer Diagnose Freund:innen oder Verwandte verloren zu haben. Ob der Häufigkeit dieses Phänomens hat sich schnell ein Wort dafür gefunden: „Cancer Ghosting“. Warum das so häufig passiert und was du als Geghosteter tun kannst, erfährst du hier.

Die Krebsdiagnose verändert alles. Der eigene Körper läuft gegen dich Amok, die Zukunftshoffnungen wie ein Kartenhaus umgeworfen. Die Trauer, die Angst vor der Behandlung, den Nebenwirkungen, der Zukunft betreffen nicht nur dich, sondern dein ganzes Umfeld, zu dem jetzt auch die ausnahmsweise verlässliche Misses Ungewissheit gehört. Die allerbeste Begleiterin wird sie aber nie sein, deswegen braucht es Familie und die bereits bewährten Freunde, die mit einem diesen dornigen Weg durch die Schlucht der Krebstherapie gehen. Das Wort „Krebs“ scheint jedoch mit einer mysteriösen, dunklen Magie behaftet zu sein, die Freunde blitzschnell verschwinden lassen kann. 

Begriffserklärung: Ghosting 

Die Beendigung einer Beziehung durch abruptes Aufhören der Kommunikation ohne Erklärung. Das herkömmliche „Ghosting“ werden die meisten vielleicht aus dem Dating kennen. Du dachtest wohl, ihr habt beim ersten Date harmoniert, hm? Scheint, als würde sie/er das anders sehen, aber zu feige sein, es dir direkt zu sagen. Die Lösung ist das unaufklärende Zen des Nicht-Schreibens… herzzerreißend. 

Was du als Geghosteter tun kannst

1. Akzeptiere die Situation 

Jap, es ist hart, keine Frage. Aber was bleibt einem anderes übrig? Akzeptanz ist ein Resultat aus direkter, unverblümter Konfrontation mit dem Fakt – weder negativ noch positiv gewertet. Was ist, ist. Die Anerkennung der Wahrheit, dem Verpuffen einer Freundschaft, lässt einen dreißigtausend Mal schneller den Verarbeitungsprozess durchwandern als der ach so beliebte Weg der Verdrängung.  

Jedoch: Lass den Schmerz der verlorenen Freundschaft zu. Trauern ist wichtig, der erste Schritt sozusagen. Also hör auf deine Gefühle und lasse sie raus. Wenn du weinen musst, dann weine. Wenn du wütend bist, dann lass deine Wut (konstruktiv!) raus.   

2. Lenke dich ab und verarbeite erst mal   

Du musst dich beileibe nicht den ganzen lieben langen Tag mit dem Schmerz abmühen. Das laugt nur aus und nimmt dir die Energie für die Dinge, die du zu kontrollieren imstande bist. Tue dir was Gutes im Angesicht der schwierigen Situation, auch wenn es nur kleinere Sachen sind. Ein extra langes Bad, genug Schlaf, den Sonnenuntergang anhimmeln, den Goldfisch mit Gourmet-Fischfutter versorgen – was auch immer im Tageskontext einen positiven Unterschied machen kann.

Eine entspanntere und balancierte Grundhaltung lässt dich einfach viel besser neue Bewältigungsansätze entwickeln.  Ein guter ist beispielsweise das Narrativ umzukehren von „sie kümmern sich nicht um mich“ zu „sie sind nicht fähig, mir die Unterstützung zu geben, die ich derzeit brauche“. Ein anderer ist es, mit anderen, vertrauten Menschen darüber zu reden. Am besten mit jemandem, der/die den/die Ghostende/n gar nicht kennt, sodass der Situation gegenüber eine gewisse Unvoreingenommenheit besteht. 

3. Schreibe eine letzte Nachricht  

Wenn du dann bereit bist, genug nachgedacht hast, eventuell vergeben und auskalkuliert hast – schreib eine letzte Nachricht. Stell’s dir wie ein Abschlussritual vor. Auch wenn’s nur zum puren Selbstzweck ist. Hauptsache Erlösung. Sagen, was man sagen muss. Es loswerden. Das Selbstmitleid beenden. Um dann endlich nicht mehr zurückschauen zu müssen und sich zu fragen, was zum Teufel wo und wann falsch gelaufen ist. Deine Nachricht könnte folgende Botschaften enthalten: 

  • Das hat dein Ghosten in mir ausgelöst 
  • Das wünsche ich dir 
  • Das wollte ich dir schon immer sagen 

Verfasse diese letzte Selbstoffenbarung in Ich-Botschaften. Das hilft dabei, die Nachricht möglichst bewertungsfrei zu formulieren. Aber erwarte nicht, dass etwas zurückkommt. Sonst kann es passieren, dass du dich wieder tagein, tagaus damit beschäftigst und so ist Enttäuschung der sichere Ausgang der Sache.  

Cancer Ghosting Pexels Karolina Grabowska
Geisterfreunde, so nah und doch so fern Fotocredit: Pexels

4. Werde nicht selbst zum Ghoster 

Ghoster sein ist nicht so einfach wie du denkst. Die Ghostenden kämpfen selbst ständig mit Schuldgefühlen, wenn auch unterbewusst. Und sollte dein/e Geisterfreund:in eines Tages doch wieder in deiner Inbox herumspuken, steh deinen Mann/Frau und antworte, auch wenn der Groll tief sitzt. Die Vendetta der Ignoranz lohnt sich einfach nicht. Punkt. Versuche, mitfühlend und verzeihend zu sein – nicht um die Handlung zu dulden, sondern um deine eigene Quelle des Vertrauens zu verstehen. 

5. Fasse neues Selbstvertrauen

Dunkel ist’s im Reich der Geister. Ohne die Lichtblicke ist es schwer sein Spiegelbild zu erhaschen. Aber die Augen gewöhnen sich dran und die Reflektion offenbart einem früher oder später ein neues Selbstbild.  

Das Vertrauen und den Glauben zu haben, dass die Entscheidungen, die du gegenüber anderen triffst, auf Liebe, Rücksichtnahme und Respekt für dich selbst und die andere Person basieren – das ist der Lichtschalter. Gib dir selbst nicht die Schuld, besonders nicht, wenn du es geschafft hast an deinen Werten festzuhalten. Du bist nicht weniger ohne diese Person. Denn du bist du und du bist genug.   

6. Verlerne nicht, zu vertrauen 

Keine einzelne Person, sei sie noch so geliebt, ist es wert dein generelles Menschensvertrauen zu Grabe zu tragen. Und versuche vor allem nicht, dich durch Misstrauen zu schützen – errichte keine Mauern zwischen dir und anderen. Konzentriere dich lieber auf die Dinge, die richtig verlaufen können, und weniger auf die falschen. Übe dich in Dankbarkeit gegenüber den Leuten, die geblieben sind.  

Richte deinen Fokus auf diejenigen, die mit dir der Tatsache ins Auge gesehen haben und deswegen zu noch besseren Freunden geworden sind – die große Aussortierung eben. Im Endeffekt können bestimmte Beziehungen und Freundschaften im Angesicht der Not gestärkt werden und sogar neue dazukommen. Und das sind genau die, die man (nicht nur) in solch schwierigen Momenten um sich haben will. 

Was du als Freund für Krebspatient:innen tun kannst, erfährst du auf der nächsten Seite.

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