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Rainer Simader über Empowerment am Lebensende
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„Wir dürfen Palliativpatient:innen nicht niederkuscheln“

Der letzte Lebensabschnitt ist noch nicht das Ende von allem – schon gar nicht von Selbstbestimmung. Wir haben mit Hospiz- und Palliativprofi Rainer Simader über Befähigung, Bewegung und das Leben bis zuletzt gesprochen.

Darüber plaudert Rainer heute: 

  • Warum Selbstbestimmung und Bewegung auch am Lebensende zentral sind. 
  • Wieso „Niederkuscheln“ Sterbenden oft mehr schadet als nützt. 
  • Wie das Dasein für Sterbende Einsamkeit lindert und Lebensqualität stärkt. 

Heute haben wir ein Rendezvous mit Rainer Simader. Wer das ist? Naja, wer in Österreich „Hospiz“ oder Palliative Care“ sagt, der stößt eher früher als später auf diesen Namen. Er gehört einem etwa 50-jährigen (aber viel jünger aussehenden) ausgebildeten Physiotherapeuten, der viele Jahre unmittelbar in der Palliativversorgung gearbeitet hat und die Palliativwelt mit offenen Augen und Ohren durchwandert hat. 

Auf diesem Weg hat er seinen Rucksack mit lebhaften Lehren und Impulsen zu den vermeintlichen Tabuthemen Tod und Sterben vollgestopft. Aus dieser praktischen Erfahrung schöpft er heute, wenn er über die Palliativwelt spricht – allerdings nicht mehr im direkten Versorgungsalltag, sondern von einer vermittelnden, reflektierenden Seite aus. 

Jetzt schreibt, spricht, moderiert, doziert und unterrichtet Rainer über die Phase Lebensende, wo seiner Meinung nach vor allem eins warten sollte: Lebensqualität. Und weil uns Kurvenkratzer:innen diese Einstellung voll in den Kram passt, haben wir ein Date mit ihm ergattert.

Schatten von 2 Personen vor bunter wand
Wenn das Leben leiser wird, gehört Lebensqualität an die erste Stelle! (Foto: Unsplash/Jan Antonin Kolar)

Wie man sterbenden Menschen zu Lebensqualität verhilft 

Kurvenkratzer: Hallöchen, Rainer! Du warst ursprünglich Physiotherapeut und hast dich auch mit Tanz- und Ausdruckstherapie beschäftigt. Wie hat es dich dann in die Hospiz- und Palliative Care verschlagen? 

Rainer Simader: Es hat damit angefangen, dass ich meinen Zivildienst in einem Alten- und Pflegeheim gemacht habe. Dort konnte ich teilweise auch als Physiotherapeut mitarbeiten. So ein Heim ist zwar keine Palliativeinrichtung, aber trotzdem ist klar, dass viele Menschen, die dort leben, auch versterben. Ich habe schnell und direkt erfahren, wie viel man gerade in so einem Setting zur Lebensqualität am Lebensende beitragen kann – auch als Physiotherapeut. 

Nach und nach hat es mich dann immer stärker in die Hospiz– und Palliativwelt gezogen. Ich habe Fortbildungen gemacht und Kurse gegeben, und so bin ich da hineingewachsen. 

Über Rainer: 

Rainer Simader beglückt die Palliativwelt mittlerweile in vielerlei Rollen: als Autor mehrerer Bücher (“99 Fragen an den Tod”, „Reise mit Mut: Mein Platz im Leben nach der Diagnose Krebs“), Dozent, Moderator und Workshopleiter. Zudem ist er gründungsfreudig und hat die Fachgruppe Physiotherapie in der Palliative Care“ sowie die „Task Force Physiotherapy“ der Europäischen Palliativgesellschaft ins Leben gerufen. Ebenso zeigt er sich für die Bereiche Bildung und Diversität beim Dachverband HOSPIZ Österreich verantwortlich und ist Vorstandsmitglied der Österreichischen Palliativgesellschaft.

Portrait männliche Person in Natur
Rainer Simader (Foto: Privat)

Kurvenkratzer: Der rote Faden, der sich durch deine Arbeit zieht, ist die Lebensqualität am Lebensende – was verstehst du darunter? 

Rainer: Ich habe für eine Weile im St. Christopher’s Hospice in London gearbeitet und erinnere mich, dass die damalige Geschäftsführerin folgendes gesagt hat: „Früher war es ein Erfolg, wenn jemand friedlich bei uns gestorben ist. Heute ist es ein Erfolg, wenn die Menschen gar nicht erst zu uns kommen müssen.“ Das ist Empowerment, also Befähigung – und die steht im Mittelpunkt meiner Arbeit. 

Es geht darum, Menschen – ob Trauernde, Sterbende oder Angehörige – in ihrer Eigenständigkeit zu stärken. Eine der wirksamsten Methoden gegen Angst ist gute Information. Die beste Information ist die, die dazu führt, dass die Menschen selber handlungsfähig werden – Hilfe zur Selbsthilfe quasi. Das hat mir damals die Augen geöffnet. 

Lebensqualität am Lebensende hat viel damit zu tun, ob ich genug Kraft und Ausdauer habe, um mein Leben zu bewältigen. Deswegen liegt auch viel Fokus auf dem Körper: Ein Fitnessstudio für Palliativpatient:innen sieht aus wie ein normales Fitnessstudio und da wird trainiert bis zum Schluss. 

Auf der nächsten Seite erzählt uns Rainer, warum wir Sterbende nicht “niederkuscheln” sollten. 

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