Ungewollt kinderlos? Wie Krebs Mirijams Lebensplan änderte
Für Mirijam war Kinderkriegen nie aus ihrem Leben wegzudenken. Bis der Krebs kam und einmal alles plattwalzte. Wie ein Wochenende voller Tränen, Zuhören und Weiterdenken ihr half, neue Perspektiven zuzulassen.
Bleib dran, wenn du…
- verstehen willst, wie Krebs den Kinderwunsch umwerfen kann.
- nachvollziehen willst, wie Mirijam sich gefühlt hat.
- nach einer neuen Perspektive suchst, wie man mit einem unerfüllten Kinderwunsch umgeht.
Kinder gehörten für Mirijam Held immer ganz selbstverständlich zum Lebensentwurf, in etwa wie Sterne zum Himmel oder Fische zum Meer. 2022 wurde der Entwurf aber im Papierkorb versenkt. Nach unzähligen Ordinationsterminen wegen einer vermeintlichen Brustentzündung kam die Diagnose: fortgeschrittener Eierstockkrebs. Später noch Metastasen in der Brust. Statt um Familienplanung ging es plötzlich um Operationen, Chemotherapie und Überleben.
Was so nüchtern klingt, trifft tief, aber es definiert Mirijam nicht. Sie ist 36, kommt aus Duisburg und arbeitete bis zur Rezidiv-Diagnose als Pastoralreferentin in zwei Gemeinden. Momentan ist sie krankgeschrieben. Das hält sie aber nicht davon ab, aktiv zu sein.
Zuhause lebt ihre innere Innenarchitektin auf. Bunt soll es sein, laut sogar, wenn’s nach ihr geht. Tapeten, die knallen. Räume, die was erzählen. Selbst beschreibt sie sich als offen, empathisch, kreativ und ja, auch mal tollpatschig. Aber vor allem als jemand, der gelernt hat, Raum zu geben: für Trauer, für neue Ideen, für Lebensmodelle jenseits von Mutter, Vater, Kind. Denn wenn das Leben nicht nach Plan läuft, macht sie eben einen neuen. Im Interview erzählt sie, wie ihr das gelingt.
Wie hat die Krebsdiagnose deinen Kinderwunsch beeinflusst?
Ich hatte immer einen großen Kinderwunsch und habe mich mit Kindern in meiner Zukunft gesehen. Schon vor der Diagnose habe ich mich intensiv mit dem Konzept „Single Mom by Choice“ beschäftigt. Als dann die Krebsdiagnose kam, war einer meiner ersten Gedanken: Ich werde nie eigene Kinder haben.
Mir war schnell klar, dass meine Gebärmutter und Eierstöcke entfernt werden müssen und dass die OP schnell erfolgen muss. Eine Kryokonservierung kam gar nicht erst in Frage.
Ich habe sehr viel geweint. In meinem Freundeskreis war gerade Babyboom, und ich war sowieso schon die, die Single ist und keine Kinder hat. Im Austausch mit anderen wurde deutlich, dass auch Adoption oder Pflegeelternschaft kaum realistisch sind – vor allem, wenn man alleinstehend ist.
Übrigens:
Kennst du schon unseren Artikel zu Trauer? Dort erfährst du, wie du mit Trauer umgehst, wie sie sich entwickelt und erhältst konkrete Tipps zur Trauerbearbeitung.
Gab es Entscheidungen, die du im Hinblick auf deinen Kinderwunsch treffen musstest?
Ich musste lernen, mit diesem unerfüllten Wunsch zu leben. Zufällig bin ich bei einer Onlinerecherche während der Arbeit auf ein Angebot für ungewollt kinderlose Frauen gestoßen. Es wurde ein Wochenende angeboten, welches mich sofort angesprochen hat und ich habe mich angemeldet. Ein Wochenende zum Trauern und Fragen, wie es weitergehen kann.
Wie in allen Selbsthilfegruppen tat es so gut zu sehen, dass man nicht alleine ist. Man musste gar nicht viel erklären, alle nickten und wussten, wie es einem geht.
Wir haben modelliert, geweint, uns ausgetauscht, einen Brief an unser ungeborenes Kind geschrieben. Wir haben begonnen, uns von einem ganzen Lebensentwurf zu verabschieden.
Das Wochenende hat mir so gutgetan, dass ich ein Jahr später selbst eines mitorganisiert habe, gemeinsam mit der Psychologin des damaligen Seminars. Auch unser Wochenende war besonders. Es tat gut, etwas von dem, was ich erfahren durfte, an andere weiterzugeben. Die Geschichten sind alle unterschiedlich, aber die Trauer ist oft dieselbe.
Wie geht es dir heute und was kannst du anderen mitgeben?
Ich habe mich größtenteils mit dem Gedanken, keine Kinder zu haben, arrangiert und ihn akzeptiert. Trotzdem gibt es Momente, in denen ich ein paar Tränen wegdrücken muss – wenn mir klar wird, dass ich nie einen Namen für ein Kind suchen, nie ein Kind in mir heranwachsen fühlen oder jemanden ‚Mama‘ zu mir sagen hören werde.
Was mir geholfen hat, war der Austausch mit anderen und dass ich mich nicht zurückgezogen habe. Es gibt diesen Spruch: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen“. Dieser Gedanke tröstet mich, weil ich viele Kinder in meinem sozialen und auch im beruflichen Umfeld habe. Und weil ich weiß, dass ich ihnen etwas mitgeben kann.
Was mir fehlt, ist gesellschaftliches Verständnis. Egal ob gewollt kinderlos, ungewollt oder auf alternativen Wegen: Oft entsteht der Eindruck, man leiste nur mit eigenen Kindern einen Beitrag zur Gesellschaft. Dabei zahlen Kinderlose mehr Steuern und höhere Pflegebeiträge und arbeiten oft mehr. Man fühlt sich nicht gesehen. Und diese typische Smalltalk-Frage ‚Hast du Kinder?‘ – die ist alles, aber kein Smalltalk. Ich wünsche mir mehr Rücksicht, Reflexion und Empathie.
Auch wenn Mirijams alter Lebensentwurf im Papierkorb gelandet ist, liegen noch genug leere Seiten vor ihr, die gefüllt werden wollen. Und was sie darauf schreibt, darf sich sehen lassen.
Links und Quellen:
- Auf ihrem Instagram-Profil teilt Mirijam regelmäßig Eindrücke aus ihrem Leben.
- Auf der Seite von InfluCancer kannst du ihren Blog verfolgen.
Titelbild: Laut & Leise