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Letzte Wünsche
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Holla, die Wunschfee: Sterben mit Happy End

Jeder Mensch stirbt seinen eigenen Tod. Und doch haben wir alle eines gemeinsam: den Wunsch, dass alles rund wird, bevor man abtritt. Und dann gibt es Menschen, die ihr Leben dafür geben, Sterbenden die letzten Wünsche von den Lippen abzulesen. Chapeau! 

Das Bedürfnis nach einem würdevollen Abgang geht oft mit einem allerletzten Wunsch einher. Oder vielen kleinen Wünschen. Was auch immer es ist, es gibt Freiwillige, die ihr Bestes tun, um sie zu erfüllen: Hospizarbeiter:innen, manchmal nennen sie sich auch einfach Wunscherfüller:innen.  

Wir durften mit drei erfahrenen Wunschfeen quatschen. Zusammengenommen haben sie hunderte Menschen in der letzten Phase ihres Lebens begleitet. Wir hatten die Ehre, ihnen ihre Geschichten zu entlocken. Geschichten, die uns tief in eine menschliche Psyche blicken lassen, die mit dem Ende konfrontiert ist. 

Die motorisierte Wunschfee

Hannah vom Wünschewagen Berlin, 22 Jahre alt

…hat ihren Freiwilligendienst beim Wünschewagen Berlin gemacht und blieb fortan der Organisation des Arbeitersamariterbunds als Ehrenamtliche erhalten.  

Hannah sitzt gestikuliert auf der Schwelle eines Wünschewagens.
Hannah ist eine von insgesamt 60 Freiwilligen beim Wünschewagen Berlin. (Foto: Wünschewagen Berlin)

Wünschewagen sind genau das, wonach sie klingen – umfunktionierte Krankenwägen, die es schwerstkranken Menschen in ihrer letzten Lebensphase ermöglichen, ihre letzten Wünsche zu erfüllen. Diese Wohltätigkeit ist spendenbasiert und über ganz Deutschland verteilt. 

Wünsch dir was: Einfach das Formular auf der Webseite ausfüllen, den Wunsch erläutern, den aktuellen Gesundheitszustand bekanntgeben und auf eine Antwort warten. Den Link findest du in unserer Quellenbox am Ende des Artikels.

Der Tod und der weite Horizont 

Aber im Endeffekt ist Vorfreude die vorherrschende Emotion: “An dem Tag geht es ums Leben und Erleben und mal nicht um die Krankheit und den Sterbeprozess. Natürlich findet so aber auch eine wichtige Verarbeitung statt.“ Freude, Spaß, Genießen, Sehnsucht, Innehalten – all das sind Gefühle, die bei den Wünschenden hochkommen. Ja, selbstverständlich auch Trauer – aber selten ist es eine negative Schwere. Viel eher ein Loslassen

Viele trauen sich anfangs nicht, ihren Wunsch einzufordern und müssen sich erst überwinden.
Hannah

Wie es in der Natur ultimativer Lebenserfahrungen liegt, gestaltet sich der Ausflug sehr emotional. Für die Wünschenden, genauso wie für die Wunscherfüller:innen. Hannah merkt an, wie wichtig es ist, den Raum für die aufkommenden Emotionen zu halten: „Obwohl es mich traurig macht zu wissen, dass die Person auf unserer Wunschfahrt nicht mehr lange leben wird, so sehe ich es als Privileg und als etwas sehr Schönes an, sie in diesen besonderen Momenten begleiten zu dürfen.“

Und dann sitzen sie an einem Ostseestrand nahe Rostock und genießen diesen Augenblick voller Dankbarkeit.

Ein Ostseestrand.
Viele letzte Wünsche involvieren eine Art von Gewässer: Berliner:innen wollen ein letztes Mal an die Ostsee, Östereicher:innen an die Donau. (Foto: Maksim Goncharenok)

Gerade für Berliner:innen ist die Ostsee ein dreieinhalb Stunden entfernter Sehnsuchtsort, an dem viele die schönsten Urlaubserinnerungen gelebt haben. Einmal noch Seeluft atmen, auf den weiten Horizont hinausblicken und Revue passieren lassen, was nie wiederkehren wird. Das Meer scheint für viele eine besondere Rolle einzunehmen, wenn es um die großen Fragen des Lebens geht.   

Hospiz done right

Maria Lederbauer vom Hospizverein Melk, 77 Jahre jung

…arbeitet schon seit den frühen 2000ern beim österreichischen Hospizverein Melk in Niederösterreich, der stationäre Sterbebegleitung anbietet, aber auch ein mobiles Palliativ- und Hospizteam hat. Im stationären Hospiz und der Schwerstpflege leben je 15 Personen, die Hälfte davon ist schwer krank (Beatmung, körperliche Einschränkungen, ALS), die andere Hälfte lebt ihren definitiv letzten Lebensabschnitt und wird dabei begleitet – von Ehrenamtlichen wie Maria.  

Ein Porträt von Maria Lederbauer.
Maria Lederbauer ist Hospizlerin mit Leib und Seele. (Foto: Verein Hospiz Melk)

Sterben ist höchstpersönlich

Aus jahrelanger Erfahrung weiß Maria, dass viele erstmal mit dem tragischen Umstand des Sterbens hadern. “Warum ich?”, ist die große Frage an Gott, das Universum, wasauchimmer. Manche machen sich ihr Ding alleine aus, andere richten sich ans Umfeld. Die Akzeptanz tritt aber erst ein, wenn alles rund ist.  

“Oft gibt es noch diese eine letzte Sache, die noch nicht in Ordnung gebracht wurde.” Und da beginnt die Arbeit der Hospizarbeiter:innen. In gewisser Hinsicht erleichtern sie ihren Klient:innen den Sterbeprozess.

Unterschied Hospiz – Palliativ 

Ganz grundsätzlich liegt der Unterschied darin, dass Hospizpflege all jene erhalten, deren Lebenszeit begrenzt ist, während Palliativversorgung eigentlich jeder mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung bekommen kann, schon ab der Diagnose. Die Versorgung erfolgt hauptsächlich auf medizinischer Ebene und Ärzt:innen sind stark involviert. 

Die Hospizarbeit hingegen ist ganzheitlicher angelegt, unterstützt die „Hospizgäste“ vor allem psychisch und bezieht Familie und Freund:innen der Sterbenden in die Betreuung mit ein. 

Beide kümmern sich darum, die Lebensqualität zu verbessern und Schmerzen zu mindern.

Maria beginnt eifrig zu erzählen: Von einer Frau, die es sich zur letzten Aufgabe gemacht hat, ihr eigenes Begräbnis zu planen. Selbstverständlich ist das im hohen Alter kein leichtes Unterfangen, sodass Maria ihr dabei geholfen hat.  

Vom Bett aus hat sie Maria ihren Lebenslauf diktiert, ihr die Liedwünsche genannt (hauptsächlich Volksmusik) und sich gewünscht, dass Maria ein Dirndl anzieht. “Hast du alles?”, fragte sie dann, als Maria alles hatte. In dem Moment, wo alles geregelt war, konnte sie in Ruhe gehen – noch in derselben Nacht.  

“Es kommt relativ oft vor, dass Leute in Frieden gehen können. Zum Beispiel wenn es einen Familienstreit gab und sich alle endlich aussprechen konnten. Oder auch unverarbeitete Traumata aus der Kriegszeit – gerade Sachen, die jahrzehntelang totgeschwiegen wurden, kommen in der letzten Lebensphase hoch”.  

Solltest du die letzte Lebensphase nicht dem Zufall überlassen wollen, dann schau mal in diesen Artikel, der dich aufs Sterben vorbereitet.

Auf der nächsten Seite erzählt Willy, der in seinem Leben viele Sterbende betreut hat, von dem einen ganz besonderen Wunsch.

Über die Serie

Oh nein, nächstes Tabuthema auf Kollisionskurs! Als ob Krebs nicht ausreicht. Machen wir uns nichts vor: Krebs wird direkt mit Sterben, Tod und Trauer in Verbindung gebracht, auch wenn viele Krebserkrankungen gar nicht tödlich sind. Geht’s doch schließlich ums Abschiednehmen, das alte Leben loslassen.

Wer uns kennt, weiß, dass wir alles locker, aber nichts auf die leichte Schulter nehmen. Schon gar nicht das Lebensende. Scheiden tut weh, keine Frage, und den Löffel abzugeben ist nicht lustig, aber wer zuletzt lacht, soll am besten lachen. Lass uns gemeinsam ins Gras beißen! Wie, das erfährst du in dieser Serie.

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