Carsten erzählt: Wie man mit der Ungewissheit vor dem Staging umgeht
Die Nachuntersuchung steht an! Doch jedes Mal, bevor das Stadium der Erkrankung wieder bestimmt wird, schwanken die Gefühle zwischen Angst, und Hoffnung. Carsten Witte – Psychoonkologe und selbst Betroffener – gibt in seiner Kolumne Impulse, wie man diese Zeit meistert.
Carsten verklickert dir:
- Wie du den Perspektivwechsel von Angst zu Lebensfreude schaffst
- Warum Ablenkung gar nicht so schlecht ist
- Wie du negative Gedanken in Schach hältst
Jaja, diese immens wichtigen, aber doch so gefürchteten Kontrolltermine in der Nachsorge. Es geht darum, frühzeitig zu erkennen, ob sich ein Rezidiv oder Fernmetastasen eingeschlichen haben. Ich bin da selbst schon oft durch, aber seit ich als Psychoonkologe Patient:innen betreue, sehe ich erst, wie unterschiedlich viele auf diese Zeit reagieren.
Wenn Staging-Termine näher rücken, gehen oft die Gefühlswogen hoch. Unsicherheit, Sorgen, Eventualitäten, aaahrrrrgg. Die Emotionen rund um Nachsorgeuntersuchungen sind total individuell. Manche drehen schon Wochen vorher durch, andere erst, wenn der Termin näher rückt, und manche sind die Ruhe selbst.
Dann ist da noch die nervenaufreibende Zeit zwischen Untersuchung und Gespräch. Aber egal, wie man es erlebt: Die Gefühle, die in dieser Phase auftauchen, sind nie falsch. Sie sind einfach da. Die Frage ist bloß: Wie geht man mit ihnen um?
Carstens Psychoonkolumne
Warum ist Carsten Psychoonkologe geworden? Grund war eine hautnahe Krebserfahrung, im zarten Alter von 24. Die Zeit war jedoch nicht nur schwer, sondern auch lehrreich. 14 Jahre nach seiner Diagnose ist er, trotz schlummernder Metastasen, das blühende Leben selbst, läuft Marathons und hilft mit seiner positiven Art und seinem ausschweifenden Wissen jungen wie alten Krebspatient:innen beim psychischen Waschgang. Jetzt auch in geschriebener Form! Das Kurvenkratzer Magazin präsentiert “Carstens Psychoonkolumne” (inklusive schwarzem Humor und hochdosierter Empathie). Seine ganze krasse Geschichte kannst du hier nachlesen!
Für viele meiner Klient:innen ist das Fegefeuer zwischen den Stagings ein Trigger. Auf einmal kommen wieder Erinnerungen hoch – an die Zeit, in der alles schlimm war. Dann muss man schauen: Was hilft in dieser Phase? Ablenkung? Verdrängen? Beides kann okay sein.
Manchmal geht es einfach nur darum, diese Zeit zu überstehen und sich gut um sich selbst zu kümmern – Psychohygiene zu betreiben. Im besten Fall schon vorbeugend, und nicht erst dann, wenn der Stress schon die Gedanken flutet.
Ablenkung. Oder doch Leben?
Ablenkung hat einen schlechten Ruf, kann aber richtig hilfreich sein, wenn man sich nicht geradewegs seinen Lastern ergibt. Patient:innen sagen mir oft: „Da muss ich mich ablenken.” Dann frage ich: “Was machen Sie dann?” – „Ja, ich gehe meinen Hobbys nach.“ Ist dieses Hobbynachgehen wirklich nur Ablenkung? Oder ist das Leben?
Eine meiner Klientinnen war bei der letzten Nachuntersuchung brutal angespannt. Also hat sie mit ihrem Partner einen Plan gemacht: Wann will ich alleine sein? Wann brauche ich Ablenkung? Sie hat sich bewusst etwas vorgenommen, das ihr Freude macht – in ihrem Fall ein Fußballspiel des SC Freiburg. Drei Stunden volle Ablenkung.
Angst als Wegweiserin
Viele Gefühle haben tieferliegende Auslöser. Hinter Angst steckt oft etwas anderes – zum Beispiel Lebensfreude oder der Wunsch, weiter für die eigene Familie da zu sein. Es ist krass wichtig, das zu erkennen.
Deshalb frage ich in der Beratung oft: „Was steckt hinter der Angst?“ Wenn jemand sagt „Ich habe Angst, dass wieder was ist“, frage ich nach: „Warum genau?“ Oft kommt dann: „Weil ich meine Kinder aufwachsen sehen will.“
Und dann wird klar: Die Angst zeigt eigentlich, wie viel einem das Leben bedeutet. Das ist ein wichtiger Perspektivwechsel. Es hilft sehr, sich zu fragen, was dieses Gefühl auslöst. In den meisten Fällen treffen Patient:innen dann auf diesen Willen, dieses innere „Ich möchte aber noch“ und merken: „Ja, das ist mein Lebensgeist, das ist mein Feuer, und es ist berechtigt“.
Den Gedanken Raum geben
Austauschmöglichkeiten wie Selbsthilfegruppen sind geil, weil ich glaube, dass die zwei Stunden im Monat, in denen man allen Sorgen und Ängsten Raum gibt, absolut wohltuend sein können. So bekommt der Krebs genug Aufmerksamkeit und muss nachher nicht mehr ungebeten im Kopf herumschwirren.
Danach haben andere Lebensbereiche wieder Vorrang. Jede:r muss seinen eigenen Umgang damit finden. Und ich glaube, das funktioniert nur, indem man diesen Gedanken ab und zu mal Raum gibt, anstatt sie zu verdrängen.
Zwicken ist kein Supergau
Es gibt Phasen, da fühlt man sich sicher, und dann gibt es wieder Zeiten, in denen man hinter jedem kleinen Zwicken Schlimmes vermutet. Gerade bei Brustkrebs, weil der ja gerne in die Knochen metastasiert. Viele Betroffene haben genau davor Angst – nicht ganz unberechtigt.
Eine aus der Selbsthilfegruppe sagt immer: Wenn sie irgendein Symptom hat – Schmerzen, Ziehen, usw. – gibt sie dem zwei Wochen Raum und gerät nicht gleich am zweiten Tag in Panik.
Sie denkt nicht sofort „Scheiße, da ist wieder was.“ Sondern sagt sich: „Okay, zwei Wochen halte ich das aus. Und wenn es dann noch da ist, gehe ich zum Arzt oder zur Ärztin.“
Schlechtes Ergebnis? Du musst da nicht alleine durch!
Mir ist das selbst passiert – bei einem Stagingtermin haben sie Metastasen in der Lunge gefunden. Ich muss glaub ich keinem sagen, dass ich erstmal geschockt war. Wie bei der ersten Diagnose sind wieder etliche Fragen aufgetaucht: Was bedeutet das Ergebnis? Wie geht es jetzt weiter? Was ist mir wichtig?
In kleinen Schritten denken kann enorm helfen: Was passiert als nächstes – und nicht gleich: Was ist in einem Jahr? Erstmal zählt nur der nächste Termin. Wie sorge ich mich bis dahin um mich? Wie kommuniziere ich nach außen? Wie gestalte ich die Zeit? Struktur und Form schaffen ist jetzt angesagt!
Aber vor allem: Du musst dich nicht alleine durchkämpfen. Engmaschige Betreuung – Leute, die dir Impulse und Orientierung geben – können dich jetzt richtig gut auffangen. Sei es durch psychoonkologische Hilfe oder den Austausch mit anderen, die Ähnliches erlebt haben. Jeder geht anders damit um, aber niemand muss es allein tun.
Das Gefühl nach einem guten Ergebnis
Es ist ein Riesending. Wenn da nix ist – geil. Dann kann man weiterleben, Pläne machen, sich freuen. Ich benutze dafür gerne die Metapher: Alle anderen dürfen auf dem großen Erwachsenenspielplatz spielen – und wenn du Krebs hast, wirst du rausgerissen. Dein Leben ist zwangsläufig pausiert. Und wenn dann das Ergebnis kommt und alles in Ordnung ist, dann heißt das: Du darfst wieder mitspielen.
Für mich persönlich ist die Zeit vor der Untersuchung eine Erinnerung: “Alter, was ich die letzten 14 Jahre durchgemacht habe…“ Und dann merke ich: Eigentlich geht’s mir gut, ich bin dankbar. Und zum Glück gibt es diese Untersuchungen – falls doch was ist, kann man es frühzeitig behandeln.
Quellen und Links:
- Du willst Carsten bewegt und in Farbe? Seine Psychoonkolumne gibt es auch als Videoreihe auf unserem Instagram-Kanal.
- Carstens Verein „Jung und Krebs e.V.“ verbindet junge Krebsbetroffene in und um Freiburg.
- Auf seinem Instagram-Kanal spricht Carsten frei über seine Krebserfahrung (und läuft Marathons, als gäbe es kein Morgen).
Titelbild: Carsten Witte/Kurvenkratzer
Über die Serie
Carstens hautnahe Krebserfahrung im zarten Alter von 24, hat ihn zum Meister der krebsverwandten Gefühlswelt gemacht. 14 Jahre nach seiner Diagnose hilft er als Psychoonkologe jungen wie alten Krebspatient:innen beim psychischen Waschgang. Jetzt auch in geschriebener Form! Das Kurvenkratzer Magazin präsentiert “Carstens Psychoonkolumne” (inklusive schwarzem Humor und hochdosierter Empathie).