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Das Gesundheitswesen schreibt Tagebuch
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Bettenfahrer sind keine kleinen Fische

Es gibt so viele Probleme, dass das Gesundheitswesen nicht weiß, wo es anfangen soll. Durch Zufall begleitet es den Bettenfahrer Benjamin im LKH Graz und wird inspiriert. Eine Reportage über den unterbewerteten Beruf des Bettenfahrers.

Liebes Tagebuch,

Du liegst so provokativ offen vor mir. Mit deinen gähnend leeren, weißen Blättern. Hmpf. Okay, einfach losschreiben.  

Du bist bloß ein weiterer von diesen verdammten Stressoren, auf die meine Therapeutin immer und immer wieder hinweist. Weißt du, was das Problem ist? Nicht, dass mir keine einfallen. Sondern wie viele mir mittlerweile einfallen.  

Allein der Föderalismus, mit dem ich mich letztens beschäftigt habe, ist ein monströses Biest von einem Problem. Jedes Bundesland seine eigenen Gesetze?! Wo war ich, als das beschlossen wurde?

Das Gesundheitswesen erleidet einen Burn-out und begibt sich auf Ursachenforschung. Was findet es heraus?

Jede Nacht träume ich, dass ich mich kompasslos an einer Kreuzung befinde, während der Teufel eine schief tönende Geige spielt. Ich bin kein Traumdeuter, aber das ist recht eindeutig. Wohin? Wo anfangen? 

Um also irgendwo anzufangen, bin ich letzte Woche auf gut Glück ins Grazer Landeskrankenhaus gegangen. Auf dem Weg kam mir meine Therapeutin entgegen, die ich die gesamte letzte Woche ignoriert habe. Das war vielleicht unangenehm. Sie musterte mich dennoch mit warmem Blick und riet mir, ich solle doch mit etwas Einfachem, Grundlegendem anfangen. 

Eine Figur mit Kapuze steht an einer Kreuzung
Kreuzungen sind schicksalsträchtige Orte. (Illustration: Lena Kalinka)

Das Schicksal ist ein Bettenfahrer

Tja, und so irre ich verloren durch die Gänge des Krankenhau… nein, eigentlich vielmehr dieser Krankenstadt, und weiß als einziger nicht wohin. Alle arbeiten emsig, ein Piepen hier, ein Rufen da. Die Oberärztin konzentriert am Klemmbrett, der Pfleger in furioser Eile. Und ich? Ich – DAS GESUNDHEITSWESEN – ohne Orientierung. *Peinlichkeitsschweiß*. Einfach irgendwohin, denke ich mir.  

Da zieht plötzlich ein Typ an mir vorbei, der ein Bett mitsamt Patienten vor sich herschiebt.  

“Ah, Tschuldige. Weißt du, wo es zur Chirurgie geht?” 

Er schaut ein wenig verwirrt und meint, dass wir doch bereits in der Chirurgie seien. 

“Ach, echt? Äh, ich meinte die ähhhm… Onkologie!” 

Sein Blick hellt sich auf. Dorthin ist er zufällig mit dem bettlägerigen Herrn unterwegs. Ich soll doch mitkommen. 

Maxerl mit Kappe, das sein eigenes Bett fährt.
Bis es eines Tages selbstfahrende Betten gibt, ist die Rolle des Bettenfahrers eine grundlegend wichtige im Kontext Krankenhaus. (Illustration: Lena Kalinka)

Kannst du dir das vorstellen? Im nächsten Kapitel überschreite ich die Schwelle und frage endlich um Hilfe.

Über die Serie

Stell dir vor, das Gesundheitswesen ist ein echtes Wesen. Es atmet, isst, trinkt, verdaut, fühlt. Und wenn es lange überlastet ist, funktioniert es nicht mehr wie sonst. In dieser Serie passiert genau das: Das Gesundheitswesen erleidet ein Burnout und muss eine Auszeit nehmen. „Den Auslösern auf den Grund gehen“, wie die Psychologin sagt.

In 20 Tagebucheinträgen beschäftigt es sich mit sich selbst – und deckt nach und nach Probleme, Erfolge und Möglichkeiten auf. Dazu spricht das Gesundheitswesen mit allerlei Fachleuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz übers Bettenfahrern, die Pflegekrise oder Themen wie Föderalismus und Digitalisierung. Am Ende entsteht ein Gesamtbild der aktuellen Herausforderungen im System.

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