12 min
Das Gesundheitswesen schreibt Tagebuch
12 min

Bettenfahrer sind keine kleinen Fische

Es gibt so viele Probleme, dass das Gesundheitswesen nicht weiß, wo es anfangen soll. Durch Zufall begleitet es den Bettenfahrer Benjamin im LKH Graz und wird inspiriert. Eine Reportage über den unterbewerteten Beruf des Bettenfahrers.

Also trotte ich neben diesem freundlichen Bettenfahrer her. Sein linker Arm ist volltätowiert, im Ohr trägt er ein kleines Plug, in Form eines Sterns. Unterwegs grüßt er charmant gefühlt jede Person, die ihm entgegenkommt, und bahnt sich auf weißen Crocs selbstsicher seinen Weg durch die vielen Gänge dieser Krankenstadt. Richtung, endlich.  

Ich starre auf sein eingenähtes Namensschild. Der Bettenfahrer bemerkt meinen Blick und hält mir die Hand hin. “Benjamin, und du?” – “Angenehm. Öhm, ja, ich bin das Gesundheitswesen.” Er hebt die Augenbrauen, fragt aber nicht weiter nach. 

Wir entern schweigend den Aufzug. Ich bemerke ein Schild, das über dem Patienten von einer Stange baumelt: “NÜCHTERN”. Schön für ihn. Ich hingegen wäre jetzt lieber beschwipst.  

Stange über einem Bett, von dem ein Schild hängt, auf dem
Das Krankenhaus ist ein schlechter Ort, um sich zu betrinken. (Foto: Lena Horvath. Illustration: Lena Kalinka)

Benjamin nimmt zur Überprüfung ein Diensthandy aus der Tasche. “Transport: liegend. Priorität: C. Ankunftszeit: 11:15.” Wieder ist mein neugieriger Blick ihm offensichtlich, er errät meine Gedanken und erklärt, dass es sich bei Kategorie C um eine Fahrt zu einem Eingriff handelt.  

Die Buchstaben geben die Reihung der Wichtigkeit der Transporte an. Kategorie A sind Notfälle, Kategorie D sind planmäßige Fahrten und B und C sind eben Fahrten zu Eingriffen und praktisch am häufigsten. Es kommt selten vor, dass er Patient:innen medizinisch versorgen muss – die meisten sind stabil während ihres Transports.  

Benjamin hält das Diensthandy, auf dem die nächsten Fahrten angezeigt werden.
Die Aufträge bekommt Benjamin direkt auf den Bildschirm gespielt. (Foto: Lena Horvath. Illustration: Lena Kalinka)

Krankenstadt in der Westentasche

Ich nicke respektvoll, während ich realisiere, dass dieser Mann das Krankenhaus wie seine Westentasche kennen muss. Ich bin auf jemanden vom Zentralen Patienten:innentransport gestoßen. Der ZPT koordiniert die Transporte der Patient:innen innerhalb des Krankenhauses und führt diese dann auch durch, so viel weiß ich. Viel mehr aber auch nicht.  

Als vielbeschäftigtes Gesundheitswesen hatte ich bis dato kaum Zeit, mich mit solch “kleinen Fischen” zu beschäftigen. Wenn ich an das Personal eines Krankenhauses denke, denke ich an Ärzt:innen, Pfleger:innen, Hebammen, Physiotherapeut:innen, usw. Aber nicht an den Patient:innentransport. Dabei sind sie so wichtig, so grundlegend wichtig. Ach, ich glaube, ich habe gefunden, was meine Therapeutin mir aufgetragen hat. Die Aufzugtüre öffnet sich. Ich schäme mich für meine Ignoranz.  

Wir bringen den nüchternen Herrn auf die prächtig gestaltete Onkologiestation. Hundertwasser persönlich war hier am Werk. Ich staune über die Schönheit, während der Patient entgegengenommen wird, Benjamin quatscht kurz mit den Onkologen und ich starre immer noch gedankenverloren auf Hundertwassers unnachahmliche Muster.  

Der Bettenfahrer schiebt ein Bett auf die von Hundertwasser gestaltete Onkologiestation.
Hundertwasser 1993, nach Fertigstellung der neuen Onkologiestation: "In den Kliniken und Krankenhäusern können die Menschen nicht gesund werden, weil die Krankenhäuser selber krank sind. Der Architekturdoktor tut nichts anderes, als die Menschenwürde in Harmonie mit der Natur und mit der menschlichen Kreation wiederherzustellen." (Foto: Lena Horvath)

“Wir sind da”. 

“Was? Ach, schon? Ja, stimmt”. 

Er dreht sich um, wünscht mir einen schönen Tag und geht. Ein Impuls lässt mich hinterherrennen. 

“Hey, darf ich… darf ich mit dir kommen? Kannst du mir zeigen, was du so machst… als Bettenfahrer?” 

Er grinst übers ganze Gesicht, bejaht unter der Bedingung, dass ich nicht störe. “Aber wozu?” 

“Ähm, najaaa, ich mache eine Reportage”, fällt mir blitzartig ein. “Ich will das Gesundheitswesen erforschen”. Leise in mich hinein flüsternd, füge ich hinzu: “Ich will wieder wissen, wozu ich da bin”. 

Auf der nächsten Seite tauche ich ganz in das soziale Berufsleben eines Bettenfahrers ein. Was ich erfahren habe? Lies selbst!

Über die Serie

Stell dir vor, das Gesundheitswesen ist ein echtes Wesen. Es atmet, isst, trinkt, verdaut, fühlt. Und wenn es lange überlastet ist, funktioniert es nicht mehr wie sonst. In dieser Serie passiert genau das: Das Gesundheitswesen erleidet ein Burnout und muss eine Auszeit nehmen. „Den Auslösern auf den Grund gehen“, wie die Psychologin sagt.

In 20 Tagebucheinträgen beschäftigt es sich mit sich selbst – und deckt nach und nach Probleme, Erfolge und Möglichkeiten auf. Dazu spricht das Gesundheitswesen mit allerlei Fachleuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz übers Bettenfahrern, die Pflegekrise oder Themen wie Föderalismus und Digitalisierung. Am Ende entsteht ein Gesamtbild der aktuellen Herausforderungen im System.

Jetzt teilen