Wenn sich die Sicht auf das Leben ändert
Arbeiten, studieren, erfolgreich sein, das war für Constanze Frick der Traum vom Leben. Sie erzählt uns, wie schnell sich ihr Weltbild änderte und nimmt uns mit auf eine Reise zu mehr Dankbarkeit.
Constanze Frick geht voll in ihrer Selbstständigkeit als Ernährungsberaterin auf und studiert nebenbei sogar für den Master. Privat ist sie dabei, mit ihrem Partner ein Haus zu kaufen. „Ich wollte immer mehr, war immer nur am Sprinten“, erinnert sie sich an die damalige Zeit, als sie allmählich einen starken Leistungsabfall merkt, riesige Blutergüsse auftauchen und sie nur noch wenige Schritte am Stück gehen kann, weil ihr die Luft ausgeht.
Ihr Blut wird untersucht, mit niederschmetterndem Ergebnis. Rote und weiße Blutkörperchen sowie Blutplättchen sind stark reduziert. An ihrem 25. Geburtstag wird eine Probe des Knochenmarks entnommen. Es folgt langes Warten: Der Befund dauert zehn Tage. „Beim Gespräch mit dem Arzt bin ich aus meinem Körper gegangen“, erzählt Constanze. „Ich hatte das Gefühl, von oben auf die Szene zu blicken und gar nicht zuzuhören.“ Sie hat Blutkrebs, genauer AML, akute myeloische Leukämie.
Bei der Leukämie, umgangssprachlich Blutkrebs, ist die Blutbildung im Menschen gestört. Statt weißer Blutkörperchen erzeugt der Körper dann entartete, nicht funktionsfähige Blutzellen. Es folgen ein Mangel an gesunden Blutzellen und verschiedenste Krankheitssymptome. Leukämie kann in jedem Lebensalter auftreten, akute Leukämiearten sind die häufigsten Krebserkrankungen von Kindern, chronische Varianten treten eher im Erwachsenenalter auf.
Fertilitätserhaltende Maßnahmen
Im Arztgespräch geht es auch um das Thema Familienplanung. Constanze hat noch keine Kinder. „Eine Chemotherapie kann mitunter die Eizellen zerstören“, erklärt sie, „weshalb Vorkehrungen getroffenen werden können, um weiterhin eigene Kinder bekommen zu können.“ Eine Möglichkeit ist, operativ Eizellen zu entnehmen. Sie werden anschließend tiefgefroren aufbewahrt – für eine spätere künstliche Befruchtung, falls eine natürliche Schwangerschaft ausbleibt. Wegen der schlechten Blutwerte ist eine solche Eizellentnahme bei Constanze keine Option. Die Verblutungsgefahr ist zu groß. Ihr Vater, ein Gynäkologe, rät ihr ebenso von dem Eingriff ab. „Wir haben uns dann gesagt: ‚Entweder es klappt danach noch, oder nicht‘. Und am nächsten Tag hab ich losgelegt mit der Chemotherapie“, erzählt sie.
Eine Krebsdiagnose schlägt in unser aller Leben ein wie eine Bombe. Wie du kurz nach einer Diagnose gut auf dich achten kannst, und wie du am besten herausfindest, wie dein Leben weitergeht, haben wir in unseren Kurvenkratzer-Checklisten „Diagnose: Krebs – und was nun?“ und „Ist die Diagnose gesichert?“ zusammengefasst.
Vor ihrer eigenen Diagnose hatte Constanze eine gänzlich andere Meinung zu Chemotherapien. Als sie selbst vor die Wahl gestellt wird und ihr keine Zeit bleibt, lange zu überlegen, weicht die frühere Ablehnung dem Wunsch zu leben. „Ich sah die Chemotherapie nicht mehr als Gift, sondern als Werkzeug, um wieder gesund zu werden.“ Beim ersten Chemoblock ist sie 28 Tage stationär im Spital und erhält eine Woche lang 23 Stunden täglich Infusionen. Fünf Blöcke sind insgesamt geplant.
Familie und Freund:innen, die sie besuchen, beschriften die Infusionsbeutel mit schönen Sprüchen, guten Wünschen und heilsamen Worten. „Im Nachhinein gesehen zeigten diese Gesten Wirkung“, sagt sie. Die Blutwerte und die Kondition bessern sich rasch, eine Knochenmarktransplantation bleibt ihr erspart. „Mein Verlauf war bilderbuchhaft“, erzählt sie, „deswegen beendete ich die Therapie in Absprache mit meinem Onkologen nach dem vierten Chemoblock.“
Ergänzende Selbstbehandlung
Constanzes Vater erstellt einen komplementärmedizinischen Behandlungsplan, der die gesunden Zellen schützen und die Therapie unterstützen soll. Sie nimmt unter anderem die Antioxidantien Kurkuma und Selen ein und lässt sich für einen zusätzlichen Schutz der gesunden Zellen hochdosierte Infusionen mit Vitamin C geben. „Außerdem habe ich überdurchschnittlich viel Wasser getrunken, um die Ausleitung möglichst gut anzuregen“, erzählt sie. „Die Zusatzbehandlung war auf mich persönlich zugeschnitten und muss für jeden Menschen individuell abgestimmt werden.“
Eigenmächtige Zusatzbehandlungen musst du in jedem Fall mit deinem ärztlichen Betreuungsteam absprechen, da Manches, ja sogar einfache Lebensmittel wie die Grapefruit, die Wirkung der Chemotherapie abschwächen oder verstärken kann. Beide Fälle sind kontraproduktiv, da eine sichere medizinische Behandlung dann nicht mehr gewährleistet wäre.
„Ich habe die Schulmedizin genutzt und mich ergänzend dazu behandeln lassen“, sagt Constanze und ist überzeugt: „Ohne die Chemo würde ich trotzdem nicht mehr hier sitzen.“ Nach der Behandlung wird ihr empfohlen, zwei Jahre lang nicht schwanger zu werden. Um zu wissen, ob es überhaupt noch klappen könnte, lässt sie das Anti-Müller-Hormon bestimmen. „Das Ergebnis war gut“, erzählt sie, „ich habe mir aber keinen Druck gemacht, weil ich zu diesem Zeitpunkt noch keinen konkreten Kinderwunsch hatte und mich erstmal auf mich selbst konzentrieren wollte.“ Um den Hormonhaushalt ihres Körpers nicht mehr zu beeinflussen, verzichten sie und ihr Partner auf hormonelle Verhütung.
Anhand der Konzentration des Anti-Müller-Hormons (kurz: AMH) im Blut kann auf die Eizellreserve in den Eierstöcken der Frau geschlossen werden. Ein hoher Wert deutet auf eine hohe Reserve an Eizellen hin, kann aber auch ein Hinweis auf ein Polyzistisches Ovarialsyndrom (PCOS) sein. Alter, Body-Mass-Index und Aspekte der Lebensführung (z. B. Rauchen) beeinflussen das Anti-Müller-Hormon.
Eineinhalb Jahre nach der Therapie tauchen bei Constanze erneut Symptome auf. Was bei der Untersuchung herauskommt, liest du auf der nächsten Seite.
- Seite 1
- Seite 2
Über die Serie
Stark sein? Runterschlucken? Das Schicksal ertragen? Wir von Kurvenkratzer bekommen latenten Brechreiz, wenn wir derartige Sprüche hören. Und warum flüstern wir, wenn wir über Krebs reden? Ja, Krebs ist in unserer Gesellschaft leider noch immer ein Tabu. Studien zufolge trifft aber jeden zweiten Menschen im Laufe seines Lebens eine Krebserkrankung. Krebs ist also alles andere als eine gesellschaftliche Nische.
In unseren Interviews sprechen wir mit Menschen, die Krebs am eigenen Leib erfahren haben oder nahe Betroffene sind. Wir reden mit ihnen über den Schock, den Schmerz, Hilfe zur Selbsthilfe, Humor und Sexualität, sowie darüber, wie es gelingt, Mut und Hoffnung zu finden. Damit möchten wir dich motivieren: Wenn du das Gefühl hast, über deine Erkrankung sprechen zu wollen, dann tu es. Du bist nicht allein.