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Seltene Krebserkrankung
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Peniskrebs mit 36: „Es ist nicht alles so schwarz wie gedacht“

Stefan Kübler entdeckte eine geschwollene Eichel, aber an Krebs dachte er nicht. Ein Gespräch über die unerwartete Peniskrebs-Diagnose, Schamgefühle und Männlichkeit, sowie übers Ausreißen von Bäumen.

„Es war eine weißliche Struktur, eine Geschwulst, die sich auf meinem Penis gebildet hat“, beschreibt Stefan Kübler die ersten Symptome. Er begreift sofort, dass etwas nicht stimmt, und holt sich ärztlichen Rat. Es wird eine Balanitis, eine Eichelentzündung vermutet. Behandelt wird die Eichel mit einer Salbe, ohne Besserung.

Für den damals 34 Jahre alten Patienten folgen Phasen mit häufigen Arztbesuchen und solchen, in denen er denkt, dass das auch wieder von alleine gut wird. Er konsultiert verschiedene Mediziner, aber es ist nie die Rede von Krebs. „Probieren Sie es mit der Salbe weiter, jetzt müssten langsam die Selbstheilungskräfte des Körpers aktiv werden“, sagt ihm einer dieser stets männlichen Ärzte. Es vergehen zwei Jahre.

Mann am Ostseestrand vor Strandkörben.
Krebsblogger Stefan Kübler reist gerne. Wenn es nicht nach Barcelona, Denver oder Hawaii geht, genügen ihm das Elbsandsteingebirge oder der Ostseestrand in Rostock-Warnemünde. Foto: Privat

Das Geschlechtsteil beschneiden

Die Diagnose Peniskrebs (Plattenepithelkarzinom) kommt überraschend und ist ein massiver Schock. „Wir müssen Ihnen die Eichel entfernen“, bekommt Stefan gesagt, „wegen der Größe des Tumors.“ Banale Dinge gehen ihm durch den Kopf: „Kann ich hinterher noch im Stehen pinkeln? Werde ich hinterher noch Sex haben können?“

„Ich verstehe, dass Ärzte nicht unbedingt Panik schüren wollen bei jungen Patienten“, sagt Stefan. Wäre er aber darauf hingewiesen worden, dass die Hautveränderung auf seinem Penis auch Krebs sein könnte, hätte er die Suche nach der definitiven Diagnose energischer betrieben.

Peniskrebs ist sehr selten. In Deutschland erkranken pro Jahr etwa 950 Männer daran. Zu den Risikofaktoren zählen eine verengte Vorhaut (Phimose), chronische Entzündungen der Vorhaut oder Eichel, mangelnde Intimhygiene, übermäßiger Tabakkonsum und Genitalwarzen aufgrund von Infektionen, z. B. mit Humanen Papillomaviren (HPV). Letztere spielen bei 50 % der Peniskrebs-Patienten eine Rolle. Durchschnittlich tritt Peniskrebs im Alter von 50 bis 70 auf.

Abermals holt er zusätzliche Meinungen ein. Überall das gleiche Bild. Die Urologen sagen „Ich kann gar nicht zeichnen, aber ich male es Ihnen mal auf, wie es hinterher aussehen könnte“ und skizzieren Gebilde ähnlich eines Hotdogs, oder „Würstchens im Schlafrock“. „Sie können damit sogar in die Sauna gehen“, heißt es.

Die Eichel wird entfernt und mit Ersatzgewebe rekonstruiert. Das passiert alles in einer einzigen Operation. Dazu werden ihm einige Quadratzentimeter Haut aus dem linken Oberschenkel entnommen und zu einer neuen Eichel geformt. „Das hat unglaublich gut geklappt“, ist Stefan fasziniert, was seine Ärzte hinbekommen haben.

Verschont von Chemo und Bestrahlung

Stefan ist bei der Diagnose 36 Jahre alt, seit zwei Jahren verheiratet und denkt schon vorher mit seiner Frau darüber nach, Kinder zu bekommen. Mit dem Peniskrebs beschäftigt ihn die Familienplanung mental am stärksten. „Die Diagnose hat mir einen Strich durch diese Rechnung gemacht. Ich hatte Angst, dass es das jetzt war“, sagt er.

„Am Anfang wussten wir noch nicht, ob eine Chemotherapie oder Bestrahlung folgt.“ Beides bleibt ihm zum Glück erspart. In einer zweiten Operation werden prophylaktisch Lymphknoten aus der Leiste entnommen, die erfreulicherweise krebsfrei sind. Eineinhalb Jahre später wird er nochmals operiert. Die Vorhaut wird entfernt, weil sich immer noch kleinere Entzündungen bilden.

Mann im Spital mit Grußkarte.
Stefan nach der zweiten Operation in der Uniklinik Rostock. An der Orchidee erfreute er sich nur kurz, da Topfpflanzen wegen der Infektionsgefahr im Spital nicht erlaubt sind. Foto: Privat

„Es ging mir nur augenscheinlich gut“

„Der Krebs war mir nicht anzusehen“, sagt Stefan Kübler, „man kann der äußeren Erscheinung nicht trauen“. Mit Blick auf seine eigene Erkrankung ist es ihm ein Anliegen, Männer für frühzeitige Vorsorgeuntersuchungen zu motivieren. „Es ist eine Hürde, einen fremden Mann auf sein bestes Stück schauen zu lassen“, aber es sei die klar bessere Option.

„Männer denken, eine Schwäche zu offenbaren, wenn sie zu häufig über die Krankheit reden“, urteilt Kübler über falsch verstandene Abgebrühtheit. „Es ist so ein Männlichkeitsding, dass man Stärke zeigen will und nicht über seine Gefühle spricht.“ Natürlich wäre es aber auch eine Frage der Erziehung und der Generationen.

Die häufigsten Männerkrebserkrankungen sind Lungenkrebs und Darmkrebs. Bereits an dritter Stelle rangiert mit dem Prostatakrebs (30 % aller Krebsarten beim Mann) eine der relativ häufigen Tumorarten des männlichen Urogenitalsystems. Hodentumoren sind im Vergleich dazu relativ selten (1,6 % aller Krebserkrankungen bei Männern), aber zwischen 20 und 45 Jahren der häufigste Krebs. Peniskrebs ist noch seltener (weniger als 1 % Häufigkeit).

„Krebsbehandlung ist nichts Spektakuläres, wie einen Baum umzusägen. Man liegt untätig auf einer Liege und lässt an sich herumschnippeln.“
Stefan Kübler

„Viele Männer möchten alles selbst machen. Wenn die Bremse beim Auto kaputt ist, schauen sie sich ein YouTube-Video an, reparieren, erzählen es den Freunden, und die finden es toll. Bei Krebs geht das nicht.“ Es sei unvermeidlich, sich den Händen einer anderen Person anzuvertrauen.

„Nach der Diagnose sagte ein Urologe: ,Seien Sie nicht so sehr Mann.‘ Er meinte damit, dass man nicht so cool damit umgehen und sehr wohl über Gefühle reden sollte, wenn es einem nicht gut geht“, erzählt Stefan. Mit der Scham und dem Kontrollverlust umzugehen, sei schwierig, aber „der Mann muss ein bisschen sanfter werden“.

Wie Stefan es geschafft hat, aus dem Tief der Erkrankung wieder herauszufinden, liest du auf der nächsten Seite.

Über die Serie

Stark sein? Runterschlucken? Das Schicksal ertragen? Wir von Kurvenkratzer bekommen latenten Brechreiz, wenn wir derartige Sprüche hören. Und warum flüstern wir, wenn wir über Krebs reden? Ja, Krebs ist in unserer Gesellschaft leider noch immer ein Tabu. Studien zufolge trifft aber jeden zweiten Menschen im Laufe seines Lebens eine Krebserkrankung. Krebs ist also alles andere als eine gesellschaftliche Nische.

In unseren Interviews sprechen wir mit Menschen, die Krebs am eigenen Leib erfahren haben oder nahe Betroffene sind. Wir reden mit ihnen über den Schock, den Schmerz, Hilfe zur Selbsthilfe, Humor und Sexualität, sowie darüber, wie es gelingt, Mut und Hoffnung zu finden. Damit möchten wir dich motivieren: Wenn du das Gefühl hast, über deine Erkrankung sprechen zu wollen, dann tu es. Du bist nicht allein.

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