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Förderungen für Selbsthilfegruppen
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Außer Spesen nichts gewesen

Von Luft und Liebe allein kann man nicht leben. Oder halt, doch: Patient:innenorganisationen schaffen das. Weil sie müssen: Für ihre Arbeit bekommen sie nämlich wenig bis gar kein Geld vom Staat. In diesem Artikel liest du, warum sich das ändern muss – und wo das schon klappt.

Big Pharma machts möglich

Zum Schluss kehren wir noch einmal nach Österreich zurück. Und zum Verein Multiples Myelom Selbsthilfe Österreich. Dessen Angebot ist beachtlich: Bei der Hotline “Myelom am Telefon” beraten Ärzt:innen Betroffene. Das Service ist gratis für Patient:innen und die Expert:innen werden vom Verein bezahlt. Dasselbe gilt für Patient:innen-Seminare und für den jährlichen Kongress, den der Verein organisiert.

Wie finanziert der Verein dieses umfangreiche Angebot, wenn der Staat durch Zurückhaltung glänzt? Ihr ahnt die Antwort vielleicht: “Zwei Drittel kommen von der Pharmaindustrie”, erzählt Obmann Derntl. Das restliche Geld aus privaten Spenden, und eine kleine Summe von der öffentlichen Hand.

Schludern auf österreichisch

Was Thomas Derntl beschreibt, ist in der Selbsthilfeszene üblich – nur wird nicht gern darüber gesprochen. Der Grund: Die Unterstützung durch Medikamentenhersteller wirft Fragen rund um Einflussnahme und Unabhängigkeit auf.

Eine Debatte, die in den vergangenen Jahren an Schärfe zugenommen hat – und die Obmann Derntl nur teilweise nachvollziehen kann. Denn: Was ist die Alternative? “Das ist dieser schludrige österreichische Weg: Man beklatscht uns zwar und verleiht uns Medaillen, aber Geld ist keins dahinter. Stattdessen wird zugewartet und geschaut, wie sich die Finanzierung von selbst organisiert.

Ameisen auf einem Ast.
So wie Ameisen sich organisieren, hat sich auch bei der Selbsthilfe-Finanzierung in Österreich von selbst ein System gebildet. Darin spielt der Staat nur ein kleine Rolle - Pharmaunternehmen hingegen eine große. (Foto: Pexels/Poranimm Athithawatthee)

Eine Halblösung ist auch keine Lösung

So hat sich ein System entwickelt, in dem Pharmaunternehmen zu den wichtigsten Unterstützern von Selbsthilfegruppen und Patient:innenorganisationen wurden. “Das haben wir uns nicht ausgesucht”, sagt Thomas Derntl.

Hat er schon einmal gemerkt, dass ein Pharmasponsor Einfluss nehmen wollte? “Niemals.” Das würde er auch nicht gestatten, sagt Derntl: “Unsere Projekte machen wir selbst.” Es gebe sehr strenge Compliance-Regeln, die ständig verschärft würden. “Die Förderverträge sind sehr, sehr lang und stellen unter anderem sicher, dass keine Werbung für Medikamente gemacht wird.” Teilweise wollen die Unternehmen aus Angst vor negativer Publicity nicht einmal als Sponsor genannt werden.

So pragmatisch seine Herangehensweise auch ist – dass das aktuelle System nicht ideal ist, findet auch Thomas Derntl. Bei wem der Ball liegt, ist für ihn klar: Bei der Politik. “Legt eine Basisfinanzierung auf den Tisch, und wir werden uns danach richten.”  Pause. Er überlegt. Dann sagt er: “Egal woher unser Geld kommt: Ich trete unbedingt dafür ein, dass es unseren Service im Dienst der Patient:innen weiterhin gibt. Dafür kämpfe ich.

PS: Wir haben das Bundesministerium für Gesundheit und Soziales gefragt, ob eine Basisfinanzierung wie etwa in Deutschland geplant ist. Die Antwort spricht Bände, wie wir finden. Wir bleiben dran.

“Dem BMSGPK ist die Notwendigkeit der finanziellen Absicherung der Selbsthilfe bewusst. So fördern wir etwa seit mehreren Jahren den Bundesverband Selbsthilfe Österreich, den Dachverband Idee Austria im Bereich der psychischen Gesundheit und Pro Rare Austria im Bereich der Seltenen Erkrankungen.

Diese Mittel sind allerdings an gesetzliche Bestimmungen geknüpft, die zwischen bestimmten Arten der fördernehmenden Organisationen nicht unterscheidet, da die Finanzierung an konkrete Projekte mit gesundheitlicher Relevanz gebunden ist. Obwohl sich das BMPSGPK hier bemüht, den oben genannten Selbsthilfeorganisationen bei Antragstellung die administrativen und sonstigen Hürden zu minimieren, ist eine Dauerfinanzierung in der geforderten Form derzeit leider gesetzlich nicht möglich.”

Was fordert Kurvenkratzer?

Wir brauchen eine ausreichende, gesetzlich geregelte Basisfinanzierung, die es Selbsthilfeorganisationen und der qualifizierten Patient:innenvertretung ermöglicht, ihren gesellschaftlichen Auftrag wahrzunehmen. Fehlt eine solche geregelte Finanzierung, sind Vereine und Organisationen gezwungen, erhebliche Ressourcen für Fundraising-Aktivitäten aufzuwenden – auf Kosten ihres Kernauftrags.
In Deutschland müssen die bestehende Basisfinanzierung aufgewertet und mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden.

In Österreich muss ein generelles Umdenken stattfinden – weg von einer Mentalität der Almosen-Vergabe, hin zu einer Professionalisierung im Förderwesen und somit auch in der Patient:innenvertretung.

Links und Quellen:

Titelbild: Pexels/Towfiqu Barbhuiya

Über die Serie

Stell dir vor, du hast kein Wahlrecht. Du lebst zwar in einem modernen Staat, doch es gibt niemanden, der oder die deine Interessen vertritt. Sobald du bei Entscheidungen mitreden willst, heißt es: Sorry, das geht nicht. Du bist ja kein:e Expert:in.

So ähnlich könnte man den aktuellen Zustand der Patient:innenvertretung beschreiben. Okay, das Gesundheitssystem ist natürlich keine Diktatur. Tatsache ist aber, dass Patient:innen in vielen Ländern bei wesentlichen Entscheidungen kaum mitbestimmen können.

Genau darum geht es in “Mit uns statt über uns”. In unserer Serie machen wir erfahrbar, warum es dringend mehr anerkannte, professionelle Patient:innenvertretungen braucht. Wir greifen das Thema in aller Tiefe auf. Zeigen Beispiele, blicken in andere Länder, entlarven die Einwände, sprechen über Vorteile und schlagen vor, wie ein Paradigmenwechsel funktionieren könnte.

Mit  dieser Serie verbinden wir zwei Leidenschaften. Wir sind ein Magazin, arbeiten journalistisch und fühlen uns ausgewogener Berichterstattung verpflichtet. Wir sind aber auch Teil von euch, unserer Patient:innencommunity, und wollen mehr Mitsprache. Wir nehmen uns nichts Geringeres vor, als beides zu erreichen.

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