Du hast das Recht mitzureden – hier lernst du wie!
Wie wird man Patient Advocate? Zum Beispiel an der Universität Klagenfurt. Dort bereitet dich ein neuer Lehrgang darauf vor, dich professionell für Patient:inneninteressen einzusetzen. Was das konkret heißt, erfährst du im Interview mit zwei der Initiator:innen.
Sich für Patient:innenrechte einsetzen, Mitsprache fordern, die Gesundheitspolitik beeinflussen, bei Forschungsprojekten mitreden: Der Einsatz engagierter Betroffener ist oft ebenso grenzen- wie selbstlos. Damit aus dieser Berufung auch ein richtiger Beruf werden kann, richtet die Universität Klagenfurt nun erstmalig einen eigenen Weiterbildungslehrgang zu diesem Thema ein.
Was man dort lernt? Patient Advocacy.
Aufmerksame Kurvenkratzer-Leser:innen wissen bereits, was das genau ist (ansonsten gibt es in unserem Lexikon eine kleine Auffrischung). Aber was ist das Ziel des Lehrgangs? An wen richtet er sich? Und was lernt man dort eigentlich genau? Wir haben darüber mit den Initiator:innen des Lehrgangs gesprochen.
Guido Offermanns ist Professor an der Uni Klagenfurt und Leiter des Karl Landsteiner Instituts für Krankenhausorganisation. Er beschäftigt sich mit Management in Gesundheitsorganisationen und Fragen zum Gesundheitssystem.
Anita Kienesberger ist Vorsitzende der Allianz onkologischer Patient:innenorganisationen und Präsidentin von WeCan, einer europaweiten Dachorganisation für Krebspatient:innenorganisationen.
Was ist Patient Advocacy eigentlich, und warum braucht es dafür einen Lehrgang?
Anita Kienesberger: Patient Advocates setzen sich dafür ein, dass die Patient:innensicht in allen Bereichen berücksichtigt wird. Egal ob es um gesundheitspolitische Entscheidungen geht, um innovative Forschung oder Versorgungsfragen.
Dafür müssen sie allerdings das nötige Wissen mitbringen. Dazu zählt oft ihre eigene Krankheitserfahrung oder die einer nahestehenden Person, aber nicht nur. Sie müssen auch die Prozesse verstehen. Wie entsteht ein Forschungsprojekt? Wie stelle ich überhaupt die richtigen Fragen? Deshalb finde ich es super, dass es jetzt einen Lehrgang dafür gibt.
Viele Patient:innenvertreter:innen sind unzufrieden, sie spüren: Da passt etwas nicht. Da braucht es Veränderung auf ganz vielen Ebenen im Gesundheitssystem. Und deshalb braucht es genau eine solche Weiterbildung an einer Universität.
Guido – du bist Professor an der Uni Klagenfurt. Was hat dich überzeugt, diesen Lehrgang gemeinsam mit Selbsthilfegruppen zu entwickeln?
Guido Offermanns: Wir haben festgestellt, dass den Patient:innen im österreichischen Gesundheitssystem nur ganz wenig Einfluss zugestanden wird. Sie haben nahezu keinen Einfluss auf Ebene der Institutionen und Organisationen im Gesundheitswesen sowie auf die Gesundheitspolitik. Stattdessen arbeiten Selbsthilfegruppen derzeit sehr stark auf der Mikro-Ebene: Sie helfen kranken Menschen in ihrer akuten Not.
Das machen sie mit viel Erfahrung und höchstem Engagement, sind aber schlecht finanziert, oder sie erhalten Finanzierung oft nur von der Pharmaindustrie. Denn es gibt in Österreich keine Basisfinanzierung für Selbsthilfegruppen. Obwohl diese das System massiv entlasten, indem sie Aufgaben wahrnehmen, die das System eigentlich selbst erfüllen sollte. Bisher können sie aber, trotz großer Expertise mit entsprechendem Erfahrungsschatz, keinen Einfluss ausüben und werden völlig ignoriert. Grundsätzlich ist es die Aufgabe der öffentlichen Hand hier schnell Veränderungen herbeizuführen.
Aus all dem ist im Kreis der Selbsthilfegruppen ein Wunsch entstanden: Wir brauchen Menschen, die sich besser auskennen und entsprechend qualifiziert sind. Deshalb haben wir diese Weiterbildung ins Leben gerufen. Damit sich etwas verändert, und diese Veränderung von den betroffenen Menschen selbst ausgeht.
Dafür braucht es natürlich Wissen und Kompetenzen – über das System, die Versorgungsprozesse und moderne Konzepte der Patient:innenbeteiligung.
Der Lehrgang heißt ja „Patient Advocacy – Management in Patient:innenorganisationen“. Es geht also auch darum: Wie kann ich eine Organisation aufbauen? Wie kann ich sie leiten, führen und anhand von Zielen entwickeln? Es geht weiter um Öffentlichkeitsarbeit, Fundraising, aber auch um Fragen rund um Einbindung in die Forschung.
Das Curriculum haben wir gemeinsam mit der Allianz für onkologische Patient:innenorganisationen und Patient Advocates entwickelt. Dieser Lehrgang ist also von der Basis aus entstanden. Der erste Durchgang wird Pilot sein und der Lehrgang wird sich dann dynamisch weiterentwickeln.
Was ist Patient Advocacy? Warum braucht es mehr Mitsprache? In unserer Serie „Mit uns statt über uns“ erfährst du alles darüber.
Was lernt man beim Lehrgang?
Guido Offermanns: Wir haben den Lehrgang so ausgerichtet, dass die Teilnehmenden nicht nur methodisches Wissen erhalten, sondern vor allem Aktivitäts- und Handlungskompetenzen erwerben. Sie werden einen echten Unterschied ausmachen, wenn sie den Lehrgang abgeschlossen haben.
Zum Beispiel sollen die Absolvent:innen verstehen, wer die relevanten Akteur:innen sind: in Politik, Verwaltung, Gesundheitsorganisationen, Forschung, Medizin, Gesundheitswirtschaft, Pharmaunternehmen und wie sie mit diesen im Sinne der Ziele der Patient:innenbeteiligung interagieren können.
Sie werden verstehen, wie das System funktioniert, um entsprechenden Einfluss auf die verschiedenen Systemebenen ausüben zu können. Dann können sie auch Vorbilder sein: für Veränderung, Innovationsbereitschaft und empathisches Leadership im Sinne der betroffenen Menschen.
An wen richtet sich der Lehrgang?
Guido Offermanns: In erste Linie richtet sich der Universitätslehrgang an Mitglieder von Patient:innenorganisationen aus allen Bereichen der Selbsthilfe, aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Da wir die meisten Module hybrid oder online anbieten, mit einer oder zwei geblockten Präsenzphase pro Semester, ist die Teilnahme aus Deutschland kein Problem.
Willkommen sind auch medizinisches, pflegerisches und therapeutisches Gesundheitspersonal, die zu entsprechenden Themen arbeiten und sich weiterbilden möchten. Denn auch Gesundheitsorganisationen erkennen zunehmend, wie wichtig und nützlich Patient:inneneinbindung ist. Weiters ist der Lehrgang offen für Personen aus der Sozialversicherung, aus Forschungsinstitutionen, für Psycholog:innen, aber auch anderen Bereichen, welche aktiv an Patient:innenthemen arbeiten.
Auf der nächsten Seite erfährst du, wohin sich das Thema Patient Advocacy international bewegt.
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Über die Serie
Stell dir vor, du hast kein Wahlrecht. Du lebst zwar in einem modernen Staat, doch es gibt niemanden, der oder die deine Interessen vertritt. Sobald du bei Entscheidungen mitreden willst, heißt es: Sorry, das geht nicht. Du bist ja kein:e Expert:in.
So ähnlich könnte man den aktuellen Zustand der Patient:innenvertretung beschreiben. Okay, das Gesundheitssystem ist natürlich keine Diktatur. Tatsache ist aber, dass Patient:innen in vielen Ländern bei wesentlichen Entscheidungen kaum mitbestimmen können.
Genau darum geht es in “Mit uns statt über uns”. In unserer Serie machen wir erfahrbar, warum es dringend mehr anerkannte, professionelle Patient:innenvertretungen braucht. Wir greifen das Thema in aller Tiefe auf. Zeigen Beispiele, blicken in andere Länder, entlarven die Einwände, sprechen über Vorteile und schlagen vor, wie ein Paradigmenwechsel funktionieren könnte.
Mit dieser Serie verbinden wir zwei Leidenschaften. Wir sind ein Magazin, arbeiten journalistisch und fühlen uns ausgewogener Berichterstattung verpflichtet. Wir sind aber auch Teil von euch, unserer Patient:innencommunity, und wollen mehr Mitsprache. Wir nehmen uns nichts Geringeres vor, als beides zu erreichen.