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Das Gesundheitswesen schreibt Tagebuch
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Wiedereingliederung: Ist das ein WIETZ?

Das Gesundheitswesen kehrt zu früh zur Arbeit zurück und findet auf die harte Tour heraus, was Scheitern bedeutet. Es lernt die “Wiedereingliederungsteilzeit” (kurz: WIETZ) und das Hamburger Modell kennen – und kommt zu einer überraschenden Erkenntnis.

bezahlter Inhalt

Das erlebe ich dieses Mal: 

  • Ich gehe wieder arbeiten! 
  • Spoiler: Das verläuft nicht so gut. 
  • Ich beschäftige mich mit der Wiedereingliederung nach langer Krankheit, dafür gibt es verschiedene Modelle. 
  • Ich unterhalte mich mit Betroffenen und lese Studien zur Rückkehr an den Arbeitsplatz. 
  • Und ich finde heraus, wie sich das alles besser lösen lässt. 

Liebes Tagebuch,

wer hätte das gedacht? Ich fühle mich gut! Die Erfahrungen der vergangenen Wochen haben mich gestärkt. Besonders seit meinem Besuch in Heidelberg blitzt in guten Augenblicken wieder Hoffnung am Ende meines Depri-Tunnels auf. Ich habe erkannt, dass ich nicht allein bin. Ich habe Mitstreiter:innen! Menschen, die daran glauben: Ein besseres Gesundheitswesen ist möglich.  

In dieser Stimmung habe ich einen Entschluss gefasst: Ich gehe es wieder an. Zurück an die Arbeit! 

Natürlich habe ich die Worte meiner Therapeutin nicht vergessen. “Burnout überwindet man nicht nebenbei. Da braucht es Zeit und viel Arbeit an sich selbst.” Doch ich fühle mich fit. Um meine Therapeutin zu beruhigen, werde ich meine Rückkehr zur Arbeit aber Tag für Tag dokumentieren. 

Was bisher geschah:  

Ich, das Gesundheitswesen, bin überlastet und wurde mit Burnout diagnostiziert. Die Psychotherapeutin riet mir, auf Spurensuche nach meinen Stressoren zu gehen. Zuerst habe ich mich mit dem Personalmangel in der Pflege und dem Problem des Föderalismus beschäftigt. Nachdem mir ein Bettenfahrer den Weg gewiesen hat, wurde mir klar, wie Wissen über die eigene Gesundheit zur Vorsorge beiträgt. Und welche Armutsfalle Krebs sein kann. Zugleich wurde mir klar: Ich habe Mitstreiter:innen! 

Montag: Es geht los!

Mit einem Jauchzen steh ich um Punkt halb sechs putzmunter neben meinem Bett. Kaffee, eine Scheibe Toast, schnell noch meinen Bonsai gießen – kein Wasser für den neuen Kaktus. Schon bin ich in der Schnellbahn und stelle mir vor, wie sich die Kolleg:innen freuen, dass ich wieder da bin. Und tatsächlich: In der Arbeit gibt’s erst mal Kuchen, noch mehr Kaffee. Smalltalk: “Wie geht’s dir? Alles wieder gut?”  

Eine Kollegin scherzt: “Schön, dich erholt wieder bei uns zu haben. Ich würde auch gern mal eine längere Auszeit nehmen.” Das ärgert mich dann doch. Glaubt sie, dass Kranksein Urlaub ist? Ich schlucke meine spitze Bemerkung runter. Mein Hals kratzt.  

Dienstag: Jetzt geht es richtig los.

Nach den vielen Briefings und Onboarding-Terminen geht es heute richtig los. Ich drehe eine Runde durch meine Gesundheitseinrichtungen, um mir ein Bild zu machen und Kolleg:innen zu treffen. Alle freuen sich natürlich. Doch kaum jemand hat Zeit für mich. Ich fühle mich ein wenig verloren. Womit soll ich anfangen? Es fühlt sich an, als würdest du zu spät zur Geburtstagsparty deines besten Freundes kommen. Die Torte ist gegessen, die Geschenke ausgepackt, dann kommst du.  

Aber ich reiße mich zusammen und fange einfach an zu arbeiten. Irgendwas. Am Abend stelle ich niedergeschlagen fest: Meinen Einstieg hatte ich mir leichter vollgestellt. 

Aufgegessene Geburtstagstorte.
Late to the party. So fühlte sich die Rückkehr an den Arbeitsplatz an. (Illustration: Lena Kalinka)

Mittwoch: Feel the Pain

Aller Anfang ist schwer. Ich versuche, mich an das Gefühl der Zuversicht zu erinnern, mit dem ich in die Woche gestartet bin. Doch bereits am Weg zur Arbeit würde ich am liebsten umdrehen. 

Dort läuft es dann nicht gut. Heute habe ich alle relevanten Akteur:innen zu einem Meeting eingeladen. Thema: “Visionen für das Gesundheitswesen”. Mein Sitznachbar – ein alter Kollege, mit dem ich mich immer gut verstanden habe – meldet sich zu Wort: “Unser Gesundheitswesen ist veraltet und verkrustet. Schaffen wir ein neues!” Alle lachen. Ich laufe rot an. Hallo? Weiß er denn nicht mehr, wer neben ihm sitzt? Ich bin doch das Gesundheitswesen!  

Wutentbrannt verlasse ich das Meeting. Ich will einfach nur heim, mich um meinen Bonsai kümmern. Danach verkrieche ich mich ins Bett, drehe laut Grunge auf – “Feel the Pain” von Dinosaur Jr.  

Das lief heute gar nicht gut. Verdammt. 

Freitag: Bestraft fürs Kranksein

Ich habe mich wieder krankschreiben lassen. Meine Therapeutin hatte recht. Ich bin noch nicht so weit. Mir war nicht bewusst, dass es so schwer ist, nach längerer Krankheit in die Arbeit zurückzukehren. 

Ich beginne zu googeln. Wie geht es anderen in meiner Situation? Ich tippe ein: “Wiedereingliederung”. Und bleibe hängen beim Instagram-Post einer ehemaligen Krebspatientin. “Als ich Krebs bekam, war ich promovierte Biologin auf Zeitstelle und frisch Mama geworden”, schreibt Userin krebs_campus. “Zusätzlich Alleinerziehende, keine guten Voraussetzungen, um einen neuen Job zu finden. Lange gesucht und nichts gefunden. Arbeitslosengeld, Hartz IV und dann ein Job in der Jugendherberge – Mindestlohn.” 

What the…?

Oh Mann. Das ist viel schlimmer als bei mir. Wie kann das nur sein? Den Job verlieren, wenn man krank ist? Wo bleibt unser geliebter Sozialstaat eigentlich, wenn es darum geht, Menschen nach langer Krankheit den Wiedereinstieg in die Berufswelt zu erleichtern? 

Das will ich morgen herausfinden. Für heute habe ich genug. Ich bin erschöpft und muss mich um meine Pflanzen kümmern – mein neuer Kaktus sieht nicht gut aus.  

Hätte ich ihn doch wässern sollen? 

Suchmaschinensuche nach
Die Suchmaschinensuche: Wer "Wiedereingliederung" eingibt, stößt auf WIETZ. (Illustration: Lena Kalinka)

Sonntag: WIETZ, nicht Witz

Gestern habe ich den ganzen Tag recherchiert. Und herausgefunden: Wiedereingliederung ist WIETZ. Und das ist jetzt kein Witz. In Österreich gibt es ein eigenes Programm, die “Wiedereingliederungsteilzeit”. WIETZ eben. Dieses regelt den Wiedereinstieg in den Job nach langer Krankheit.  

Je mehr ich darüber lese, desto optimistischer werde ich: 

Auf der nächsten Seite erzähle ich, wie es in der zweiten Woche mit der Wiedereingliederung so klappt.

Über die Serie

Stell dir vor, das Gesundheitswesen ist ein echtes Wesen. Es atmet, isst, trinkt, verdaut, fühlt. Und wenn es lange überlastet ist, funktioniert es nicht mehr wie sonst. In dieser Serie passiert genau das: Das Gesundheitswesen erleidet ein Burnout und muss eine Auszeit nehmen. „Den Auslösern auf den Grund gehen“, wie die Psychologin sagt.

In 20 Tagebucheinträgen beschäftigt es sich mit sich selbst – und deckt nach und nach Probleme, Erfolge und Möglichkeiten auf. Dazu spricht das Gesundheitswesen mit allerlei Fachleuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz übers Bettenfahrern, die Pflegekrise oder Themen wie Föderalismus und Digitalisierung. Am Ende entsteht ein Gesamtbild der aktuellen Herausforderungen im System.

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