Wenn Daten heilen – Gesundheitshistorie auf einen Klick
Dem Gesundheitswesen geht es etwas besser. Es fängt an, sich sportlich zu betätigen und längst vergessene Sportgeräte und Gesundheits-Tracking-Tools zu nutzen. Aber was passiert mit all den Daten? Dem geht es auf den Grund und trifft auf Birgit Bauer, Gründerin von „Data Saves Lives Germany“.
Liebes Tagebuch,
jetzt habe ich schon länger nicht mehr den Stift in die Hand genommen. Du erinnerst dich. Die Wiedereingliederung ins Arbeitsleben hat nicht so gut geklappt. Ich musste mich vor einer Woche wieder krankschreiben lassen. Es war einfach zu früh.
Meinem Kaktus Kurt geht es hervorragend (so viele Stacheln habe ich noch nie an ihm gezählt)! Meinem Bonsai auch. Dienstag ist es. Den habe ich heute Morgen mit einem Cappuccino mit Hafermilch und einem Mandelcroissant gestartet. Nicht das ausgewogenste Frühstück, aber immerhin bin ich mittlerweile offen für eine Milch vom Getreide.
Was bisher geschah:
Ich, das Gesundheitswesen, bin überlastet und wurde mit Burnout diagnostiziert. Die Psychotherapeutin riet mir, auf Spurensuche nach meinen Stressoren zu gehen. Zuerst habe ich mich mit dem Personalmangel in der Pflege und dem Problem des Föderalismus beschäftigt.
Nachdem mir ein Bettenfahrer den Weg gewiesen hat, wurde mir klar, wie Wissen über die eigene Gesundheit zur Vorsorge beiträgt. Und welche Armutsfalle Krebs sein kann. Zugleich wurde mir klar: Ich habe Mitstreiter:innen! Diese Erkenntnis hat mich irgendwie dazu motiviert, wieder ins Berufsleben zurückzukehren. Die folgende Wiedereingliederung hat nicht so ganz funktioniert, aber dafür kenne ich jetzt die Vorteile der Digitalisierung.
Ich rauche wieder weniger. Es tut mir gut. Ich habe angefangen, etwas gesünder zu essen und Sport zu machen. Tatsache. Heute Morgen hat sich dann mein sportliches Ich eingeredet, dass heute DER Tag ist, um joggen zu gehen. Nach einem flüchtigen Blick aus dem Fenster hat sich aber mein innerer Schweinehund direkt wieder im Bettchen verkrochen. Ich musste ihn also erstmal überwinden.
Ich erinnerte mich an meine noch originalverpackte Fitnessuhr. Dieser zusätzliche Stressfaktor wurde mir vor Jahren geschenkt. Heute habe ich sie ausgepackt und mit meinem Smartphone per App verbunden. Tja, und dann habe ich mich auf mein dominant im Wohnzimmer platziertes Laufband geschmissen. 10 Minuten lang.
Ich steige ab und *bling*, schon leuchtet mein Handy auf, mit der Benachrichtigung der App. Nochmal. Stress. Ich muss mich setzen. Zugegebenermaßen auch meiner mangelnden Kondition geschuldet. Ich schaue zu meinem Bonsai. Jetzt geht’s wieder.
Das hat mich stutzig gemacht. Was macht mein Handy eigentlich mit diesen Informationen? Liest es, neben dem offensichtlichen Mithören, jetzt auch noch mit? Da muss ich erstmal googlen.
Medizin, aber 2.0
Telematikinfrastruktur, Gesundheitsapps, die sogar als Medizinprodukte verordnungsfähig sind, Fitness- und Lifestyle-Apps, elektronische Patient:innenakte. Digitalisierung im Gesundheitssektor. Bäh. „Digitalisierung“. Ich habe eine Hass-Liebe zu diesem Begriff.
Sie hat viele Vorteile, keine Frage. Digitale medizinische Anwendungen rücken immer stärker in den Fokus der Gesundheitsversorgung. Sie sollen sogar das Potential haben, die ärztlichen Abläufe und das ärztliche Berufsbild zu verändern und neue Therapiemöglichkeiten zu eröffnen. Ick wes ja nich‘.
Und dann steht da noch was von Telemedizin. Ich kenn nur Teleshopping. Dort habe ich mein Laufband bestellt. Funktioniert einwandfrei. 10/10.
Was ist Telemedizin?
Telemedizin ermöglicht die Fernbehandlung und -überwachung von Patient:innen durch Technologie, wie Videoanrufe oder Online-Plattformen, was besonders für ländliche Gebiete oder Menschen mit eingeschränkter Mobilität von Vorteil ist.
Ich bin auf folgende Anwendungsbereiche gestoßen:
Während einer laufenden Online-Behandlung können zusätzliche Ärzt:innen hinzugezogen werden, um gemeinsam mit Mediziner:innen aus verschiedenen Krankenhäusern zu behandeln.
Der oder die behandelnde Gesundheitsdienstleister:in kann eine Zweitmeinung einholen, beispielsweise durch die Befundung eines Radiologen oder einer Radiologin.
Behandlung durch medizinisches Personal aus der Ferne, zum Beispiel durch die Steuerung eines OP-Roboters durch chirurgisches Fachpersonal.
Die Überwachung des Gesundheitszustandes aus der Ferne, einschließlich Messungen wie Blutdruck, Herzfrequenz, Körpergewicht oder Blutzucker. Die erfassten Werte können direkt an die behandelnde ärztliche Person oder das Krankenhaus übermittelt werden.
Beratung mittels Chat, Anruf oder Video. Dabei wird eine Online-Diagnose gestellt und gemeinsam mit dem Patienten oder der Patientin eine Therapie sowie weitere Maßnahmen beschlossen. Es können auch Rezepte, Überweisungen oder Krankmeldungen ausgestellt werden.
Hm. So unpersönlich das Ganze. Was ist denn mit der Ärzt:innen-Patient:innen-Beziehung? Geht da nicht der Kontakt verloren? Und ist die Qualität einer Fernbehandlung überhaupt dieselbe? Ohne direkten physischen Zugang zum:zur Patient:in könnten doch wichtige Informationen übersehen oder falsch interpretiert werden?
Auf der nächsten Seite finde ich Antworten in den digitalen Akten und ich erzähle von meinem Gespräch mit einer Vordenkerin beim Thema Daten.
Über die Serie
Stell dir vor, das Gesundheitswesen ist ein echtes Wesen. Es atmet, isst, trinkt, verdaut, fühlt. Und wenn es lange überlastet ist, funktioniert es nicht mehr wie sonst. In dieser Serie passiert genau das: Das Gesundheitswesen erleidet ein Burnout und muss eine Auszeit nehmen. „Den Auslösern auf den Grund gehen“, wie die Psychologin sagt.
In 20 Tagebucheinträgen beschäftigt es sich mit sich selbst – und deckt nach und nach Probleme, Erfolge und Möglichkeiten auf. Dazu spricht das Gesundheitswesen mit allerlei Fachleuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz übers Bettenfahrern, die Pflegekrise oder Themen wie Föderalismus und Digitalisierung. Am Ende entsteht ein Gesamtbild der aktuellen Herausforderungen im System.