Robert pflegte seine Frau bis zum Ende: Was er gelernt hat
Roberts Frau Elisa hatte ein Glioblastom. In der intensiven Pflegezeit hat er viel gelernt. Jetzt teilt Robert seine persönlichen Erfahrungen und gibt wertvolle Tipps, wie man den Pflegealltag organisiert, Unterstützung koordiniert und dabei nicht sich selbst verliert.
Dieser Artikel hilft dir:
- den Pflegealltag besser zu organisieren,
- bürokratische Hürden zu verstehen,
- eine Balance zwischen Arbeit und Pflege zu finden,
- Hilfsmittel kennenzulernen, die den Pflegealltag erleichtern,
- trotz aller Herausforderungen schöne Momente zu ermöglichen.
Im Zuge der Serie Pflegen für Anfänger:innen haben wir erfahrene Stimmen aus unserer Community über ihre Zeit als pflegende Angehörige befragt.
Robert Marx, 33, hat im Mai 2024 seine Frau Elisa mit 33 Jahren und nach 26 Monaten Pflege an ein Glioblastom verloren, durfte aber vorher mit ihr viel über die Liebe, das Miteinander und die kleinen Dinge des Daseins auf diesem Planeten erfahren.
Durch seinen Blog und seine Vorträge möchte er einen Raum schaffen, in dem sich Menschen mit ihren eigenen Pflegerfahrungen auseinandersetzen, von anderen lernen und Stärke in der gemeinsamen Verletzlichkeit finden.
Hallöchen, Robert! Wie kann man Unterstützung durch Angehörige bestmöglich organisieren, ohne selbst zusätzlichen Stress zu haben?
Robert: Hilfe ist nur dann wirklich hilfreich, wenn sie deine mentale Last reduziert. Es bringt wenig, wenn jemand fragt, ob er einkaufen soll, und dann eine Liste erwartet – viel besser ist, wenn sich jemand in den Prozess reindenkt oder proaktiv Fragen stellt. Die größte Herausforderung bei Unterstützung ist oft die Geschwindigkeit. Manche Dinge werden sofort benötigt, doch nicht jede helfende Person versteht die Dringlichkeit.
Deshalb ist es wichtig, Aufgaben klar zu verteilen, ohne dass die pflegende Person jedes Detail koordinieren muss. Digitale Planungstools wie Trello oder ein gemeinsamer Online-Kalender können dabei helfen, Transparenz zu schaffen. Wer helfen will, sieht dort, was ansteht, kann eine Aufgabe übernehmen und sie einfach erledigen.
Plötzlich Pflegefall – welche bürokratischen Aufgaben stehen erstmal an?
Robert: Gerade zu Beginn fühlt es sich überwältigend an, weil man nicht weiß, welche Hilfsmittel es gibt oder welche Anträge gestellt werden müssen.
Oft gibt es keinen offensichtlichen Weg – z. B. dass man eine Mobilitätspauschale über die Pflegeberatung beantragen muss, um Fahrdienste nutzen zu können, die noch dazu Teil der Anträge für die Schwerbehinderung sind. Der Sozialdienst im Krankenhaus gibt zwar eine erste Orientierung, aber mancherorts wirkt die Beratung katalogmäßig und wenig individuell. Pflegeberatungen sind oft hilfreicher, weil sie auf die persönliche Situation eingehen.
Wenn ein Pflegegrad bewilligt ist, kommt alle sechs Monate jemand zur Kontrolle und kann weitere Unterstützungsmöglichkeiten aufzeigen.
Wie findet man die Balance zwischen Arbeit und Pflege, und was beeinflusst die Entscheidung für Arbeitszeitreduktion oder Ausstieg?
Robert: Nachdem ich anfangs auf Teilzeit reduziert habe, bin ich komplett ausgestiegen als Elli ins Hospiz gekommen ist. Arbeit und Pflege unter einen Hut zu bringen, ist ein ständiges Abwägen. Manche reduzieren ihre Stunden, andere steigen ganz aus dem Beruf aus – je nachdem, was finanziell möglich ist und wie sich der Pflegebedarf entwickelt.
Es ist ein schwieriger Balanceakt, weil man nicht immer abschätzen kann, ob es sich um eine kurzfristige oder langfristige Situation handelt. Besonders in palliativen Fällen wird klar, dass Zeit das wichtigste Gut ist. In einem System, das Leistung und Pflichterfüllung priorisiert, fühlt es sich manchmal so an, als müsste man sich für jede Entscheidung rechtfertigen – letztlich zählt aber nur, was für die eigene Situation richtig ist.
Welche Hilfsmittel können den Pflegealltag erleichtern?
Robert: Hilfsmittel können den Pflegealltag enorm erleichtern, aber oft weiß man gar nicht, was es alles gibt oder wo man was beantragen kann. Vieles erfährt man erst unterwegs, dabei wäre es hilfreich, sich frühzeitig einen Überblick zu verschaffen. Ein Pflegeberatungstermin ist eine gute erste Anlaufstelle, weil die Berater:innen zu dir nach Hause kommen und individuell auf deine Situation eingehen.
Je nach Fall erleichtern technische Hilfsmittel wie Treppenraupen, Tragegürtel oder ein höhenverstellbares Pflegebett die körperliche Pflege, während kleinere Dinge wie Kotztüten mit Haltering oder eine gute Matratze den Alltag angenehmer machen. Die medizinische Versorgung kann durch ein Kund:innenkonto bei der Apotheke oder Hausbesuche der Hausärztin deutlich stressfreier gestaltet werden.
Gibt es Schulungsangebote, die pflegenden Angehörigen weiterhelfen können?
Robert: Selbsthilfegruppen, Onlinekurse oder Letzte-Hilfe-Kurse für Palliativpflege können helfen, sich sicherer zu fühlen und besser vorbereitet zu sein. Trotzdem wird es immer Situationen geben, für die es keine perfekte Lösung gibt.
Wie kann man als pflegende Person auf sich selbst achten und Überlastung vermeiden?
Robert: Wer sich selbst völlig für die Pflegeperson aufgibt, wird irgendwann selbst zum zweiten Pflegefall. Gerade wenn die Belastung konstant hoch ist, braucht es fixe Rituale, um den Kopf freizubekommen – sei es ein täglicher Spaziergang, Sport oder einfach ein bewusster Moment für dich selbst. Gestehe dir ein, wenn du nicht mehr kannst, und plane rechtzeitig Pausen ein.
Der größte Fehler wäre, deine eigenen Grenzen zu ignorieren und dir einzureden, dass du es „noch zwei Wochen“ durchhältst. Die Pflege hört nicht plötzlich auf – deshalb musst du lernen, dich selbst zu entlasten, bevor es nicht mehr geht.
Wie kann man während der Pflege, trotz aller Herausforderungen, Lebensqualität und besondere Erlebnisse ermöglichen?
Robert: Viele Menschen sind übervorsichtig und verpassen dadurch wertvolle Momente, die Lebensfreude schenken. Natürlich sollte man Risiken abwägen, aber Sicherheit allein ist kein Leben. Es braucht Mut, auch während einer schweren Krankheit besondere Erlebnisse zu ermöglichen. Reisen können, wenn sie gut organisiert sind, weiterhin möglich sein. Es gibt oft mehr Möglichkeiten, als man denkt.
„Assisted Travelling“, also unterstütztes Reisen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, funktioniert an Flughäfen zum Beispiel hervorragend – und selbst kleine Wünsche wie ein Erdbeerbecher mit Sahne können einen Tag besonders machen. Lebensqualität bedeutet nicht, alle Probleme zu lösen, sondern trotz allem schöne Momente zu schaffen.
Brauchst du Hilfe dabei, dein Leben mit Leben zu füllen? Hier sagen wir dir, wie du mit einer Bucket List dein Leben bereichern kannst.
Fazit: Du schaffst das!
Pflege ist wie ein Drahtseilakt – ständig in Bewegung, immer auf der Suche nach dem richtigen Gleichgewicht. Du hilfst einer Person, die auf dich angewiesen ist, und versuchst gleichzeitig, dich selbst nicht völlig zu vergessen.
Die kleinen Tricks und Hilfsmittel wirst du oft erst unterwegs entdecken, weil jeder Pflegefall individuell ist und sich die Situation laufend verändert. Aber hey, mach dir keine Sorgen! Du hast das Zeug dazu, auch wenn du es jetzt noch nicht glaubst. Wir sind überzeugt, dass du stärker bist, als du denkst.
Und falls du mal den Überblick verlierst, denk an Robert: Er hat es auch geschafft, trotz der vielen Herausforderungen und ohne das perfekte Handbuch.
Du bist auch pflegende:r Angehörige:r und willst dein Wissen und deine Erfahrung teilen? Schreibe uns gerne per Mail!
Quellen und Links zum Weiterlesen:
- Trello ist ein Organisationstool, mit dem du deinen Alltag einfacher gestalten kannst.
- Morphineonbananabread ist Roberts Webseite, auf der er sich dem Ziel widmet, pflegende Angehörige zu stärken.
- Auf der Webseite der Stiftung ZQP kannst du in Deutschland Pflegestützpunkte und Beratungsstellen suchen.
- Die österreichische Regierungsplattform für Pflege und Betreuung bietet hier ebenfalls einen Suchmaschinenservice für Pflegeberatung an.
Titelbild: Unsplash/Julentto Photography
Über die Serie
Du bist Angehörige:r, Freund:in oder Bekannte:r einer Person mit Krebs? Dann gratulieren wir dir herzlich – denn jetzt dreht sich alles mal um DICH! Heute bist DU das Kind an einem Tisch voller Erwachsenen. Mittelpunkt Numero uno und das Augenmerk unserer neuen Serie. Denn Pflegende sind oft die heimlichen Held:innen. Wir geben ihnen eine Bühne, lassen sie zu Wort kommen und teilen ihre Geschichten: von Sorgen, Überforderung, Tabus, Reality-Checks – bis hin zu den kleinen und großen Erfolgen in der Pflege.
Aber wo endet Hilfe, wo beginnt Bevormundung? Wie schaffst du es, dich selbst nicht zu verlieren? Diese Serie ist dein Rettungsring im Chaos des Pflegealltags – für dich und alle anderen, die sonst meist unsichtbar bleiben. Jetzt werden Rollen getauscht.