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Anti-Manipulations-Checkliste
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Medical Gaslighting – Wenn das System dir nicht glaubt

Gaslighting ist eine besonders respektlose Form der Manipulation. Eigentlich kennen wir sie aus Beziehungen, manchmal versteckt sie sich aber auch im weißen Kittel – eine Trennung ist dann keine Option. Was tun? Kurvenkratzer klärt auf.

Du bist hier richtig, wenn du…

  • herausfinden möchtest, was sich hinter „Medical Gaslighting“ verbirgt,
  • die Gründe dafür verstehen willst,
  • einen Leitfaden suchst, um dieser Situation gekonnt zu begegnen.

In den digitalen Sprechzimmern teilen Patient:innen Geschichten, die eher an eine schlechte Seifenoper erinnern als an eine seriöse Diagnose. Aussagen von Ärzt:innen wie „Das ist der Stress“ oder „Das ist nur eine Verspannung“ stellen dein eigenes Schmerzempfinden infrage.

Du fängst an zu denken, dass es ja vielleicht wirklich nicht so schlimm ist und du einfach dramatisch bist. Und genau dann geht es um Medical Gaslighting.

Gaslampe steht im Dunkeln auf Pflastersteinen
Mit Gaslighting meinen wir nicht die Gaslampe sondern ätzende Manipulation. (Foto: Pixabay/Lukas Baumert)

Vom Psychothriller zum weißen Kittel

Der Begriff „Gaslighting“ hat in den letzten Jahren vor allem im Kontext toxischer Beziehungen an Bedeutung gewonnen. Ursprünglich entsprang er einem psychologischen Thriller von 1944, in dem ein Mann seine Frau glauben lässt, verrückt zu sein. Täglich dreht er eine Gaslampe ein Stück niedriger, beharrt aber auf keine Veränderung der Lichtverhältnisse. Nun hat der Begriff seinen Weg in den Bereich der Medizin gefunden.

Medical Gaslighting ist kein neues Phänomen, sondern eine altbekannte Tragödie, die erst jetzt die Aufmerksamkeit erhält, die sie verdient. Patient:innen werden nicht ernst genommen, Symptome werden auf „psycho“ reduziert und das Gespräch findet von oben herab statt.

Die Folgen? Selbstzweifel, Frustration und ein realer Kampf um die eigene Gesundheit – aber hey, immerhin eine gute Story für die nächste Grillparty, wenn auch mit bitterem Beigeschmack.

Wie erkennst du Medical Gaslighting?

  • Du wirst unterbrochen und dir wird nicht zugehört.
  • Deine Symptome werden nicht ernst genommen.
  • Über deine Symptome wird nicht gesprochen.
  • Es werden keine Untersuchungen angeordnet, um eine Diagnose zu bestätigen oder auszuschließen.
  • Der:die Behandelnde ist ein „Ungustl“ (so nennt man in Österreich eine unsympathische Person) redet auf dich herab und spricht dir deine Erfahrungen ab.
  • Deine Symptome werden auf deine Psyche geschoben.

Medizinischer Schlag ins Gesicht

Betroffen sind vor allem Frauen, die LGBTQ+-Community, Menschen mit Migrationshintergrund, mit Übergewicht oder ältere Menschen – Gruppen, die ohnehin schon oft an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.

Wenn man den Jackpot knackt und gleich in mehrere Kategorien passt, ist es umso schwerer, sich Gehör zu verschaffen. Insbesondere das Gewicht wird dabei häufig als Sündenbock missbraucht und Beschwerden werden pauschal auf die Waage geschoben. Fatshaming ändert die Symptome aber nicht.

Frau zeigt Ringfinger in die Kamera, spielt auf Mittelfinger an
Wir sagen Mittelfinger hoch! Bodyshaming ist nie in Ordnung. (Foto: Canva/Mix and Match Studio)

Frauen sind seit Jahrhunderten mit medizinischem Gaslighting konfrontiert. Schon im antiken Griechenland glaubte Hippokrates, dass die Gebärmutter im Körper umherwandert und Hysterie verursacht.

Über die Jahrhunderte gab es verschiedene Erklärungen, von dämonischer Besessenheit bis hin zu Hexerei. Erst 1980 wurde Hysterie als psychologische Diagnose gestrichen – wohl der größte Witz der Medizingeschichte.

Ein System von Männern für Männer

Man würde glauben, Geschlechterklischees wären ausgestorben wie die Dinosaurier. Aber auch heute ist die Vorstellung verankert, Männer seien schmerzresistent, während Frauen als emotional gelten.

Als wäre das nicht absurd genug, zeigen Studien, dass Schmerz von Männern als stärker eingestuft wird als Schmerz von Frauen. Dies hat zur Folge, dass z. B. Herzerkrankungen bei Frauen später erkannt werden oder Frauen mit Endometriose und dem PCO-Syndrom lange Zeit mundtot gemacht wurden.

Endometriose und das PCO-Syndrom sind „Frauenkrankheiten“, die zu Fruchtbarkeitsproblemen führen können.

Bei der Endometriose entscheidet sich Gebärmutterschleimhautgewebe, außerhalb der Gebärmutter herumzulungern und für einige Unannehmlichkeiten, vor allem Schmerzen und Entzündungen, zu sorgen.

Das PCO-Syndrom hingegen veranstaltet eine Art „Follikel-Fete“ in den Eierstöcken, bei der viele kleine Eibläschen auftreten, aber scheinbar die Einladung zur Reifeprüfung verloren haben. Das führt zu einem hormonellen Durcheinander und Periodenproblemen.

Nicht nur die Vorurteile des medizinischen Personals tragen Schuld, sondern auch ein Gesundheitssystem, das auf Effizienz und Schnelligkeit getrimmt ist. Etwa zehn Minuten pro Patient:in, überlastetes Personal und Leistungsdruck – alles Zutaten für oberflächliche Behandlungen.

Doch der Kampf beginnt schon vor dem Betreten der Praxis. Bei klinischen Studien sind Frauen immer noch stark unterrepräsentiert. Sie nehmen Medikamente ein, die an Männern getestet wurden. Das kann nicht gut gehen. Du fragst dich, warum? Lies‘ doch mal unseren Artikel über Gendermedizin.

Auf der nächsten Seite findest du Tipps, wie du dich gegen Medical Gaslighting wehren kannst. 

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