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Wie wurde Krebs für dich zur finanziellen Odyssee, Marlen?

Aufgepasst. Es folgt eine Odyssee durch Krebsdiagnosen, Palliativaufenthalte und finanzielle Turbulenzen. Und eine Ode an die Familie und elterliche Rückendeckung. Warum Marlen Burst von einem finanziell stabilen Leben ins Frauenhaus hätte gehen können? Sie hat es uns verraten. Leinen los. 

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Sohn, Hund, Arbeit, Haus, Umzug. Krebs. Letzteres ist ein Substantiv, dass Marlen Burst gerne in ihrem Wortschatz und Leben vermieden hätte. Aber das Leben macht manchmal doofe Faxen. Lacht uns gerne mal lauthals aus. Tja. Marlen hat zurückgelacht. Und wie.

Aber mal ganz von vorn. Februar 2019. Die 32-jährige Marlen und ihr damaliger Freund haben Haus gebaut. Der gemeinsame Sohn war eineinhalb Jahre alt. Nach der ersten Nacht in ihrem neuen Zuhause fuhr Marlen wegen Übelkeit ins Krankenhaus. Sie vermutete eine Lebensmittelvergiftung. Nach dem Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall dann die niederschmetternde Diagnose: ein großer Tumor an der Nebenniere, der bereits auf benachbarte Organe drückte. Nach einer elfstündigen OP wurde der Tumor erfolgreich entfernt. Juhu! Happy End! Denkste. Die Irrfahrt geht weiter.

Im November folgte die nächste schockierende Diagnose: Metastasen auf der Wirbelsäule. Aufenthalt in der Palliativstation, 30 Bestrahlungen, Chemotherapie und eine prophylaktische doppelte Mastektomie, also eine Abnahme beider Brüste später, geht es Marlen heute gut.

Finanziell war diese Zeit allerdings „ein Wahnsinn“, wie sie immer wieder betont. Marlen hatte das große Glück, von zu Hause unterstützt zu werden. Wie sie trotz aussichtsloser Diagnose, mit der Unterstützung ihrer Familie, die Kurve geknackt hat? Das erzählt sie uns nun.

„Hätte ich meine Eltern nicht gehabt, dann hätte ich von einem wunderschönen Leben, das finanziell super war, ins Frauenhaus gehen können.“
Marlen Burst
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Egal wie aussichtslos die Situation auch war – Marlens Eltern haben nie den Sicherheitsgurt losgelassen. (Foto: Pexels/Riccardo)

Wie hat die Krebsdiagnose deine finanzielle Situation beeinflusst?  

Mitte 2020, kurz vor der Chemo, habe ich mich von meinem Freund getrennt. Damals bin ich mit Sohn und Hund zu meinen Eltern gezogen. Ich habe nur 707€ Krankengeld pro Monat bekommen. Mein Glück war, dass ich in der Karenz geringfügig gearbeitet habe und in der Elternteilzeit für zwei Wochen angestellt war. Dann kam die Krebsdiagnose. Nach einem halben Jahr mit 707€ habe ich dann knappe 1.000€ Rehageld monatlich bekommen. Und das war’s. 

Gott sei Dank hatte ich meine Eltern. Von Juli bis November 2020 habe ich bei ihnen gewohnt und sie haben mich und meinen Sohn voll miterhalten. Ich habe die Chemo bekommen, während sie auf ihn aufgepasst haben. Parallel hatte ich einen totalen Rosenkrieg mit meinem Ex. Eine Gerichtsverhandlung nach der anderen. Hätte ich meine Eltern nicht gehabt, dann hätte ich von einem wunderschönen Leben, das finanziell super war, ins Frauenhaus gehen können. Meine Eltern sind schon ewig verheiratet und haben lange gespart. Das wäre sonst nicht gegangen.

Ich war immer arbeiten, war nie arbeitslos. Wirklich nie. Ich fand es Wahnsinn, was ich mit der Krankenkasse gestritten habe. Wegen Kilometergeld, um ins Krankenhaus zu fahren, beispielsweise. Da haben wir lange diskutiert, bis ich die 42 Cent pro Kilometer bekomme, die mir zustehen.

Als ich den Status ”palliativ” bekommen habe, war das natürlich auch eine Vollkatastrophe. Ich hatte einerseits Todesangst und gleichzeitig Sorgerechtsstreit. Ich wusste, dass mein Sohn zu seinem Vater kommt, wenn ich sterbe.

Wie bist du mit dieser Herausforderung umgegangen?  

Wie gesagt hatte bzw. habe ich das Glück, dass mich meine Eltern finanziell unterstützt haben. Ich hätte sonst nicht gewusst, wie ich das stemmen sollte. Alleinerziehend und mit so wenig Geld das Leben zu bestreiten ist unmöglich. Es wäre super, wenn es günstige Pensionen gäbe, wo man in solchen Situationen mit Kind unterkommt. Man möchte ja nicht heim, seine Eltern belasten. Sie haben auch extrem mitgelitten.

Für meine aktuelle Wohnung musste ich 30.000€ anzahlen. Mein Vater hat mich finanziell unterstützt und war auch der Bürge, sonst hätte ich sie nicht bekommen. Am Anfang haben mir meine Eltern noch die Miete gezahlt. Es hat dann 3-4 Monate gedauert, bis ich vom Land Niederösterreich die Förderung bekommen habe, damit man weniger Miete bezahlt.

„Mit der Diagnose Krebs zurechtzukommen und dann noch finanzielle Probleme zu haben, ist das fürchterlichste Gefühl, das man haben kann.“
Marlen Burst
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Marlen mit ihrer aller aller größten Stütze von allen. (Foto: Privat)

Aktuell sieht es gut aus. Was den Krebs betrifft, passt alles. Ich bin weiterhin in sehr engmaschigen Kontrollen, da die Krebsart meines Tumors unbekannt war. Jetzt steht dann bald die Unterleibs-OP an. Ich habe auch wieder jemanden kennengelernt, meinem Sohn geht’s gut, das mit der Wohnung klappt auch. Ich bekomme immer noch Rehageld. Wir dürfen jetzt nicht großartig über die Stränge schlagen, aber es passt. 

Ich möchte im Herbst 2024 wieder anfangen, 20 Stunden zu arbeiten. Ich habe Einzelhandel gelernt, zuletzt war ich Bürokauffrau. Ich würde auch gerne Teilzeit Patient:innen mit einem Patient:innentaxi von Amstetten nach Linz fahren. Das mache ich nicht fürs Geld. Ich möchte diese Menschen auf ihrem Weg ins Krankenhaus und vor der Chemotherapie einfach total motivieren.

„In der Chemo habe ich gesagt: Wenn ich die schaffe, dann mache ich das und das und das und das. So. Dann ist die Chemo vorbei und dann musst du mal schlafen.“
Marlen Burst
 X Mama Mit Kind Schatten
"Jetzt im Nachhinein kann ich sagen: Es hat aus mir einen sehr, sehr viel besseren Menschen gemacht." (Foto: Canva/Tanya Mahoney)

Was hast du gelernt und kannst du an andere Betroffene weitergeben? 

  1. Nie den Kopf in den Sand stecken. Auch wenn du noch so eine Scheiß-Diagnose bekommst. Es gibt immer oder meistens ein ABER. Das habe ich gelernt. Ich hatte schon die Diagnose, dass es komplett vorbei ist mit mir. Ich hatte auch wirklich gute Ärzt:innen. Ich bin von einem guten Doktor und einer guten Ärztin zur nächsten.
  2. Jede Förderung und Zuzahlung nutzen, die man bekommt. Behindertenausweis und so weiter. Ich weiß, man schämt sich oft dafür, aber man muss es nutzen. Es kann auch helfen, Infos bei der Krebshilfe oder bei den örtlichen Organisationen einzuholen. Ich war auch in vielen Facebook-Gruppen zum Thema Krebs. Man weiß einfach so viel nicht.
  3. Es ist jedem zu wünschen, egal welchen Krebs sie oder er hat, dass sie oder er einen familiären Hintergrund oder Eltern hat, die finanziell unterstützen können. Mein Halt war auch mein Sohn. Es war gut, dass ich ihn hatte, denn so musste ich den ganzen Tag funktionieren und war voll beschäftigt. Es gab keine andere Option. Nach der Chemo hätte ich nicht sagen können: „Mir geht’s so schlecht, jetzt lege ich mich nieder“. Meine Eltern waren damals beide noch berufstätig und von der Familie meines damaligen Partners war keine Unterstützung da. 

Ich habe jetzt im Endeffekt das alleinige Sorgerecht bekommen. Das war auch alles sehr mühsam. Mein Ex hatte auch zeitweise übermäßiges Kontaktrecht zu meinem Sohn, dass dieser sich, falls ich sterbe, schon an den Vater gewöhnt. Es war alles ganz makaber. Es hat sich aber alles zum Guten gewendet. Das mit dem Krebs auch. Es hätte niemand geglaubt, dass ich das überlebe.

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Die Produktion dieses Artikels wurde von der DONAU Versicherung AG unterstützt, unter Wahrung der redaktionellen Unabhängigkeit.

Titelbild: Privat

Über die Serie

Jeder Mensch hat zwei Leben. Das zweite beginnt dann, wenn du realisierst, dass du nur ein Leben hast, und die Welt sich anders anfühlt. Durch den massiven Eingriff von Krebs & Co findet ein Sinneswandel statt. Falls dein Lebensweg bisher an Sinn vermissen ließ, wird das im Angesicht der Endlichkeit furchtbar klar.

Die Sinneswandel-Serie beschäftigt mit der Vielfalt an Bewältigungsstrategien, die Krebspatient:innen entwickeln, um mit all den weitreichenden Veränderungen umzugehen. Coping ist eine Kunst, und Kunst sensibilisiert die Sinne. Durch unsere Community wissen wir: Manche haben besonders kreative und authentische Ansätze gefunden. Sie haben inspirierende Geschichten gelebt, Prüfungen bestanden, schwere Entscheidungen getroffen – und wir entnehmen die Essenz dieser Lebenswege und gießen sie in tieftauchende Porträts.

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