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Interview
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„Ich hatte Zungenkrebs, aber sonst bin ich ganz normal“

Wir haben uns mit der Salzburger Food- und Lifestylebloggerin Claudia Braunstein über ihre seltene Krebsdiagnose, leidenschaftliches Schmusen und perverse Gelüste unterhalten. Ach ja. Und über Essen.

Das Schicksal. Ein mieser Verräter. Für manche der Romantitel einer Romanze, für andere bittere Realität. Für Claudia Braunstein ein Schritt in ein neues Leben. Im Juli 2011 hat sie mit nur 48 Jahren die seltene Diagnose Plattenepithelkarzinom erhalten. Oder auch: Zungenkrebs. Drei Wochen nach der ersten Vermutung lag sie bereits für 17 Stunden am Operationstisch. „Und mein Leben hat sich komplett auf den Kopf gestellt.“ – sagt Claudia. Ihre Leidenschaft für gutes und gesundes Essen ist allerdings geblieben, die Claudia auf ihrem Blog „Geschmeidige Köstlichkeiten“ seit dem Jahr 2012 auslebt…und auskostet. Im wahrsten Sinne des Wortes.


KURVENKRATZER: Claudia, wie lautet deine Geschichte?

CLAUDIA: Ich bin im Sommer 2011 mit der Diagnose Plattenepithelkarzinom am rechten Zungenrand übergehend in den Mundboden konfrontiert worden. Eine sehr seltene Krebserkrankung, die durchschnittlich größtenteils Männer über 65 betrifft. Risikofaktoren sind übermäßiger Alkoholkonsum, Rauchen, generell ein schlechter Lebensstil. Viele Patienten kommen aus bildungsfernen Schichten, was natürlich alles keine charmanten Attribute sind. Wer will denn schon in der Kategorie „Saufender Raucher, der sich die Zähne nicht putzt“ begrenzt werden?

Du hast deinen Blog „Geschmeidige Köstlichkeiten“. Was hat bloggen für dich für eine Ressource?

Ich habe mir damals gedacht: Blogs, sowas blödes. Ich habe mir darunter immer Frauen vorgestellt, die sich in ihrem „Outfit of the day“ abbilden. Also was soll das sein? So nach dem Motto: Blog. What´s that? Außer Fetzen. Und drei/vier Monate nachdem ich ihn gestartet habe, hatte ich tatsächlich die erste Kooperationsanfrage und dachte: „Bist du narrisch, die Leute entdecken mich, ich bin jetzt so ein Superstar.“ Ich hatte ja nichts vor, ich wollte nur Rezepte für Menschen zur Verfügung stellen, die so ein Problem haben wie ich. Dafür, dass ich so ein schwieriges Thema behandle, was auch nicht charmant oder sexy ist, ist das eigentlich schon eine erfolgreiche Geschichte.

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Seit dem Jahr 2012 veröffentlicht Claudia auf ihrem Blog "Geschmeidige Köstlichkeiten" Rezepte für Menschen mit Schluckbeschwerden. Fotocredits: Clara Schwöllinger

Was war denn das lustigste oder peinlichste was dir im Zusammenhang mit deinem „Handicap“  passiert ist?

Sowas passiert mir eigentlich ständig. (lacht) Ich sabbere mich oft an und muss mich nachher umziehen. Das nehme ich aber meistens mit Humor. Ich warne auch oft mein Gegenüber davor. Wenn ich jemanden kennen lerne, mit dem ich mich länger unterhalte, sage ich immer dazu: „Ich hatte Zungenkrebs, aber sonst bin ich ganz normal“. Einmal in einem Schleckermarkt wollte ich bei der Kassa sagen „Mit der Karte bitte!“, und habe volle Pulle aufs Band gespuckt. Die Kassiererin schaut mich an und sagt: „Wos bist´n du für a Sau.“ Und da war ich mir nicht ganz sicher. Was ist jetzt der peinliche Auftritt – Ich oder die Frau. Ich bin also oft mit sehr außergewöhnlichen Situationen konfrontiert. Wenn mich einer nicht versteht, ist das nicht mein Problem, sondern seins. Das muss man auch für sich selber lernen.

Welchen Stellenwert hatte denn gesundes Essen vor deiner Diagnose?

Essen war für mich immer ein ganz großer Faktor. Ich bin ein absoluter Genussmensch und habe vorher schon auf Ernährung geachtet. Biologische Lebensmittel und kein billiges Fleisch im Supermarkt kaufen, auf den Markt gehen, heimische Produkte kaufen, regional, saisonal. Ich bin immer sehr gern, sehr gut auswärts essen gegangen, habe auch zu Hause selber gekocht. In unserer Familientradition ist es immer so vorgelebt worden. Diese Diagnose war für mich natürlich ein großes Problem – nicht mehr essen zu können.

Über die Serie

Stark sein? Runterschlucken? Das Schicksal ertragen? Wir von Kurvenkratzer bekommen latenten Brechreiz, wenn wir derartige Sprüche hören. Und warum flüstern wir, wenn wir über Krebs reden? Ja, Krebs ist in unserer Gesellschaft leider noch immer ein Tabu. Studien zufolge trifft aber jeden zweiten Menschen im Laufe seines Lebens eine Krebserkrankung. Krebs ist also alles andere als eine gesellschaftliche Nische.

In unseren Interviews sprechen wir mit Menschen, die Krebs am eigenen Leib erfahren haben oder nahe Betroffene sind. Wir reden mit ihnen über den Schock, den Schmerz, Hilfe zur Selbsthilfe, Humor und Sexualität, sowie darüber, wie es gelingt, Mut und Hoffnung zu finden. Damit möchten wir dich motivieren: Wenn du das Gefühl hast, über deine Erkrankung sprechen zu wollen, dann tu es. Du bist nicht allein.

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