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Hodenimplantate
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Nicht der schönste Körperteil des Mannes?

Robert hat Hodenkrebs. Gleich zwei Mal hintereinander, beide Hoden werden entfernt. Ein Einschnitt in die Männlichkeit. Doch er erhält Hodenimplantate und erzählt, wie das Leben mit seinen „neuen Eiern“ aussieht.

„Machen Sie sich keine Sorgen, das ist heilbar“, sagt der Urologe zu Robert, als er Roberts Hoden untersucht. Die Hose heruntergelassen, liegt Robert vor dem Arzt auf der Untersuchungsliege, zum ersten Mal im Leben beim Urologen, dem Facharzt für „untenrum“. „Ein Ultraschall am Hodensack ist sehr seltsam“, erinnert sich Robert. Es ist Herbst 2019 und die Aussage des Arztes irritiert, hatte er doch nur damit gerechnet, ein Antibiotikum wegen „dieses kleinen Knotens am Hoden“ zu bekommen.

„Wie kann man überhaupt auf die Idee kommen, auf der Urologie Spargel-Gnocchi zu servieren?“
– Robert, amüsiert über zweideutige Verköstigung im Krankenhaus

Schmerzen hat er keine, beim Sex klappt alles, nicht anders bei der Ejakulation. Dennoch: „Wenn man seinen Körper kennt, dann merkt man es“, antwortet Robert darauf, wie er die Schwellung entdeckt hat. Beim Duschen, bei der Selbstbefriedigung und, ja, auch beim Sex ist ihm die Verhärtung schon aufgefallen, direkt am Übergang vom Samenleiter zum Hoden. Im Krankenhaus wird Dringlichkeit vermittelt. Ultraschall, Blutabnahme, CT, MRT, die unzähligen Untersuchungen mit den vielen Abkürzungen verwirren. Und was ist das überhaupt, ein Hodentumor? Die Operation wird eingeschoben. Trotzdem wartet Robert drei Tage, untertags nüchtern, Essen gibt’s nur abends.

Grafische Anleitung zum Abtasten der Hoden.
Für alle Männer ab 20 gilt: Einmal im Monat ran an die Eier! Die regelmäßige Selbstuntersuchung kann helfen, bösartige Veränderungen früh zu erkennen. (Grafik: Kurvenkratzer/Clara Schwöllinger)

Ein Hoden weniger fällt fast nicht auf

„Ich konnte mir nicht vorstellen, wie mein Sack mit nur einem Ei aussieht“, erzählt Robert. Außerdem hat er Angst, dass er nach der Operation vielleicht keine Erektion mehr bekommt. In beiden Punkten beruhigt ihn sein Arzt. Es falle wenig auf, wenn ein Hoden fehle, und die Erektion werde dadurch nicht beeinflusst. „Deshalb war es aus optischen Gründen kein Thema eine Hodenprothese einsetzen zu lassen.“

Schematisches Schaubild der chirurgischen Hodenentfernung bei Hodenkrebs.

Bild: Cancer Research UK, CC BY-SA 4.0

Hodenkrebs ist die häufigste Tumorerkrankung bei Männern zwischen 20 und 45 Jahren. Diese „Keimzelltumoren“ werden in Seminome und Nicht-Seminome eingeteilt.

Die chirurgische Hodenentfernung („Orchiektomie“, „Ablatio testis“ oder auch Hodenamputation) ist am häufigsten bei Hodenkrebs nötig. Über einen Schnitt an der Leiste wird der Samenleiter abgetrennt und der erkrankte Hoden aus dem Hodensack gezogen. Auf Wunsch kann eine Prothese (Implantat) eingesetzt werden.

Nach der chirurgischen Hodenentfernung erfolgen – falls keine Metastasen vorliegen – häufig einfach nur alle drei Monate Kontrolluntersuchungen (Active Surveillance, Wait-and-see, „watchful waiting“), bevor weiter behandelt wird.

„Die Operation ist vorbei, das Ei ist weg“, erzählt Robert. Der Tumor wird als Seminom identifiziert. Metastasen hat Robert zum Glück keine, er braucht also weder Bestrahlung noch Chemotherapie. „Wir haben dann mit der Active Surveillance weitergemacht, mit Quartalsuntersuchungen“, sagt Robert.

Filzstift-Markierung auf der Haut eines Patienten in der Lendenregion vor der Hodenoperation.
Wer schon einmal eine Operation hatte, wird solch einen Pfeil kennen. Auch bei Robert ist die richtige Stelle für die Hodenentfernung markiert worden. (Foto: Privat)

Plötzlich tote Hose

Der Krebs ist weg, aber Robert fühlt sich lasch, antriebslos, die Libido ist herabgesetzt. Fatigue ist nicht auszuschließen, aber er will es genau wissen: Bei der nächsten Quartalskontrolle wird der Testosteronwert geprüft. „Ich hatte immer schon einen kleineren und einen größeren Hoden“, erzählt Robert. „Nachdem der größere Hoden entfernt wurde, fragte ich mich: Kann der kleine das überhaupt übernehmen?“

Die Testosteronkonzentration im Blut ist gering – und sinkt im Laufe der folgenden Kontrollen weiter. Robert holt sich Zweitmeinungen ein. Er wird auf „andere Ursachen“ vertröstet und bekommt Potenzmittel empfohlen. Auch eine Hormonersatztherapie ist im Gespräch, die aber Unfruchtbarkeit zur Folge hat. Ein Jahr nach der Operation dann die Ernüchterung: Im zweiten Hoden sind drei Herde. Das befürchtete Rezidiv des Hodenkrebses ist da.

Mann mit Sonnenbrille vor einer städtischen Hochhauskulisse.
Robert vertraut der Körperregion „da unten“ nicht mehr. Deshalb geht er nach der Diagnose erst recht seiner Lieblingsbeschäftigung nach, dem Reisen. (Foto: Privat)

Der zweite Hoden muss raus. Das Hormon Testosteron wird fehlen und Robert wird unfruchtbar. Wie er damit umgeht, liest du auf der nächsten Seite.

Über die Serie

Stark sein? Runterschlucken? Das Schicksal ertragen? Wir von Kurvenkratzer bekommen latenten Brechreiz, wenn wir derartige Sprüche hören. Und warum flüstern wir, wenn wir über Krebs reden? Ja, Krebs ist in unserer Gesellschaft leider noch immer ein Tabu. Studien zufolge trifft aber jeden zweiten Menschen im Laufe seines Lebens eine Krebserkrankung. Krebs ist also alles andere als eine gesellschaftliche Nische.

In unseren Interviews sprechen wir mit Menschen, die Krebs am eigenen Leib erfahren haben oder nahe Betroffene sind. Wir reden mit ihnen über den Schock, den Schmerz, Hilfe zur Selbsthilfe, Humor und Sexualität, sowie darüber, wie es gelingt, Mut und Hoffnung zu finden. Damit möchten wir dich motivieren: Wenn du das Gefühl hast, über deine Erkrankung sprechen zu wollen, dann tu es. Du bist nicht allein.

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