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Krebs und Fatigue
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Voulez-vous Fatigue avec moi, ce soir?

Du bist hier richtig, wenn du dich auf einen humorvollen Umgang mit dem nervigen Symptom Fatigue (chronische Erschöpfung) einlassen willst. Claudia teilt ihre Erfahrungen als stammzellentransplantierte Leukämie-Patientin in diesem Bericht.

Mit dem Blutsauger auf der Titanic

Leukämie ist ja ohnehin so etwas wie die Gothic-Abteilung in der Krebs-Szene. Während meiner Klinikaufenthalte schlurfte ich, wie von Nosferatu höchstpersönlich ausgezuzelt, apathisch über den Flur – immer einen Beutel Frischblut im Schlepptau.  

Irgendwann zwischen letzter Hochdosis-Chemo und Anschlussheilbehandlung, ich war noch etwas verloren im weiten Ozean der Nachsorge, schloss sich dem Trantüten-Club eine fette Fatigue an. 

Am Meeresgrund. Mariannengraben. Tiefste Stelle der Weltmeere. Low below low. Weiter unten geht nicht.  
Claudia

Fatigue! Da war es wieder, dieses elegante französische Wort. Unverschämt, dass es als siebzehntausend Tonnen schwerer Eisberg daher kam, der mich rammte, platt walzte und versenkte. Da lag ich. Ein 38-jähriges Schiffswrack. Am Meeresgrund. Mariannengraben. Tiefste Stelle der Weltmeere. Low below low. Weiter unten geht nicht. 

Energieräuber an Bord!

Ich dachte noch: Akute myeloische Leukämie, Rezidiv, Blinddarmdurchbruch zwischen zwei Chemozyklen, Beinbruch einen Tag vor der Transplantation und Herpesvirus ohne Immunsystem, that’s it, Baby! Oh nein, da geht noch was, dachte sich offensichtlich die Behörde im Universum, die auch für die Vergabe von Empathie in Versorgungsämtern zuständig ist. 

Ehrlich gesagt, weiß ich nicht genau, wer zuerst da war: Depression oder Fatigue. Irgendwann haben sich die beiden in meinen Alltag aus Medikamente einnehmen und ins Leere starren einquartiert.

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Je leerer sich Claudia gefühlt hat, desto satter musste der Fatigue-Vampir gewesen sein. "Naja, solang einer von uns satt ist...", nimmt Claudia es mit Humor. (Foto: Pexels/Cottonbro Studios)

Haben still und heimlich meine Wohnung zur exklusiven Afterparty-Zone für Leuko-Vamps und Krebszombies ausgerufen. Standen wie fette Türsteher vor jedem Zimmer in meiner Wohnung.  “Dakommstdunichtrein!” Ich hätte diesen Downern so gerne die Fresse poliert, aber auch dazu fehlte mir jeglicher Antrieb.

Schwurbeln gegen Schwerkraft

Fühlen Sie sich erschöpft?”, fragte mich mein Onkologe. “Nein, ich fühle mich leicht wie eine Feder, jogge jeden Morgen eine Stunde und gebe anschließend Balettunterricht, antwortete mein sarkastisches Ich, das glücklicherweise auf stumm geschaltet war.  

“Ja, nickte ich resigniert.  

Fatigue gehöre zu den häufigsten Symptomen. Müdigkeit und Erschöpfung seien völlig normal nach all dem, was mein Körper durchgemacht hat, erklärte mir der junge Mann im weißen Kittel.  

Zu meinem Erstaunen wurde mir ausgerechnet gegen das monströseste aller Symptome kein Medikament verordnet: “Bewegen Sie sich an der frischen Luft. Beginnen Sie mit einem kleinen Spaziergang. Bauen Sie langsam wieder Muskulatur auf. Herzkreislauf blabla… Lungenvolu Ich verstand ihn nicht mehr. Lallte er oder waren die Battieren in meinem Hirn schon wieder zu schwach?

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Abgewetzt, abgenudelt und leer... Ja, dieses Notizbuch und ich hatten ungewöhnlich viel gemein. (Foto: Unspalsh/Markus Spiske)

Trotz als Treibstoff

Was mangels Konzentrationsfähigkeit als Geschwurbel bei mir ankam, war natürlich fachlich absolut korrekt. Trotzdem hat mich diese belehrende Art getriggert. Und das war gut so. Der Weg zurück ins Leben funktioniert nämlich nur über den eigenen Antrieb. Der Treibstoff dafür darf auch Trotz sein. Mein Psychoonkologe bestätigte: “Wut ist eine wertvolle Lebensenergie. Da geht noch was!”  

Und ob da noch was ging. Auch, wenn es phasenweise schwer zu glauben war. Fatigue, das fühlte sich eher nach erschlagen statt nach erschöpft an. Da war etwas kaputt gegangen. Und dabei meine ich nicht nur das vernarbte, fahle Mondgesicht, das mich jeden Morgen im Badezimmerspiegel anglotzte.  

Ganz tief drin in mir war etwas gebrochen. Es hat mich kantiger gemacht, aber auch klarer. Gerade weil mir der Atem für umständliche Erklärungen fehlte, begann ich öfter “nein” zu sagen. Ein herrlich befreiendes Gefühl 

Auf der nächsten Seite erfährst du, wie Claudia zur Diwan-Diva wurde und wieso sie Hilfe im Tierreich suchte.

Über die Serie

Jeder Mensch hat zwei Leben. Das zweite beginnt dann, wenn du realisierst, dass du nur ein Leben hast, und die Welt sich anders anfühlt. Durch den massiven Eingriff von Krebs & Co findet ein Sinneswandel statt. Falls dein Lebensweg bisher an Sinn vermissen ließ, wird das im Angesicht der Endlichkeit furchtbar klar.

Die Sinneswandel-Serie beschäftigt mit der Vielfalt an Bewältigungsstrategien, die Krebspatient:innen entwickeln, um mit all den weitreichenden Veränderungen umzugehen. Coping ist eine Kunst, und Kunst sensibilisiert die Sinne. Durch unsere Community wissen wir: Manche haben besonders kreative und authentische Ansätze gefunden. Sie haben inspirierende Geschichten gelebt, Prüfungen bestanden, schwere Entscheidungen getroffen – und wir entnehmen die Essenz dieser Lebenswege und gießen sie in tieftauchende Porträts.

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