Wie meisterst du den Pflegealltag als Angehörige, Bettina?
Pflege ist kein Sprint, sondern ein Marathon – voller Herausforderungen, aber auch wertvoller Momente. Pflegeprofi Bettina teilt ihre Erfahrungen, damit du den Alltag als Pflegende:r besser hinbekommst.
Dieser Artikel hilft dir:
- Aus Bettinas Erfahrung zu lernen
- Herauszufinden, welche bürokratischen Aufgaben erstmal anstehen
- Aus kleinen Momenten große Kraft zu ziehen
Die Pflege eines geliebten Menschen ist alles andere als ein Selbstläufer. Du gibst immerhin deine Zeit her, um dieser Person möglichst viel Lebensqualität zu ermöglichen. Deshalb möchten wir dir erstmal sagen: Respekt!
Wir sind uns sicher, du steckst da viel Kraft rein, und vielleicht bist du manchmal auch wütend oder frustriert. Voll verständlich. Aber du musst nicht blindlinks in das Pflegeabenteuer stürzen. Mach’s dir ein bisschen einfacher! Höre Leuten zu, die das schon einmal durchgemacht haben.
Heute haben wir einen echten Pflegeprofi am Start: Bettina Frölich. Die Österreicherin ist ehemalige Krankenschwester und hat ihren Sohn bis zum Schluss gepflegt.
Im Zuge der Serie Pflegen für Anfänger:innen haben wir erfahrene Stimmen aus unserer Community über ihre Zeit als pflegende Angehörige befragt.
Den heutigen Erfahrungsschatz bietet Bettina Frölich. Sie ist 63 Jahre alt und Mutter von drei Kindern. Sie blickt auf eine lange Karriere als Krankenschwester zurück und hat in verschiedenen Abteilungen wertvolle Erfahrungen gesammelt.
Ihr ältester Sohn Jannick erkrankte im Kindesalter an einem embryonalen Rhabdomyosarkom und später an einem malignen peripheren Nervenscheidentumor. Mit 27 Jahren starb er an den Folgen seiner Krankheit.
Hallöchen, Bettina! Wie kann man Unterstützung durch Angehörige bestmöglich organisieren, ohne selbst zusätzlichen Stress zu haben?
Von Anfang an Verwandte, Freund:innen, Nachbar:innen und Arbeitskolleg:innen informieren und gezielt um Hilfe bitten – sei es für Einkäufe, Botengänge oder einfach mal einen Besuch mit Kaffee. Bei meinen Arbeitskolleg:innen würde ich heute energischer auf Rücksicht pochen.
Plötzlich Pflegefall – welche bürokratischen Aufgaben stehen erstmal an?
Am Anfang stehen Terminabsagen und die Information aller relevanten Stellen: Arbeitgeber, Ausbildungsstätten wie z. B. die Universität (Krankheitssemester), Hausarzt oder Hausärztin und Verwandte – immer in Absprache mit dem Patienten oder der Patientin.
Auch wichtig: Schwerbehindertenausweis und Parkausweis beantragen. Um einen Pflegegrad habe ich erst spät angesucht, weil mein Sohn sich „nicht krank genug“ fühlte – im Nachhinein würde ich raten, es sofort zu tun, da selbst Grad 1 in Österreich Vergünstigungen bringt.
Wenn du mehr über die geldtechnischen Folgen von Krebs wissen willst, haben wir hier einen mega ausführlichen Artikel, der dir durch den Finanzdschungel helfen wird.
Wie findet man die Balance zwischen Arbeit und Pflege, und was beeinflusst die Entscheidung für Arbeitszeitreduktion oder Ausstieg?
Ich habe meine Arbeitszeit von Vollzeit auf 80 Prozent reduziert und Freizeitaktivitäten fast eingestellt. Ich habe versucht, ein Unterstützungsnetzwerk aufzubauen, aber das gelang nur bedingt. Viele meiner früheren Bekannten zogen sich zurück oder wollten die Ernsthaftigkeit der Erkrankung nicht wahrhaben.
Du bist Patient:in und willst die Perspektive deiner pflegenden Angehörigen besser verstehen? Hier lang für gemeinsame Entlastung!
Welche Hilfsmittel können den Pflegealltag erleichtern?
Wir brauchten Gehhilfen, Lagerungskissen und später einen Rollstuhl – vieles ließ sich über die Krankenkasse oder den Bekanntenkreis organisieren. Facebook-Gruppen waren auch eine wertvolle Quelle, z. B. die Gruppe „Onkomützen“, die kostenlos Mützen und Drainagebeutel anfertiget. Flüssignahrung und Physiotherapie gab es auf Rezept.
Gibt es Schulungsangebote, die pflegenden Angehörigen weiterhelfen können?
Pflegekurse gibt es, aber da geht es meist um die Betreuung älterer Menschen. Wer keine Erfahrung hat, kann sich von Pflegekräften anleiten lassen – das wäre oft ausreichend.
Wie kann man als pflegende Person auf sich selbst achten und Überlastung vermeiden?
Ich habe bemerkt, dass ich Freiräume benötige und habe mich manchmal mit Freundinnen getroffen, kleine Ausflüge übers Wochenende gemacht, wenn Jannicks Freundin bei ihm war. Im Laufe der Zeit erhielten wir außerdem Unterstützung vom Pflegedienst und anderen Alltagshilfen (Reinigung).
Mein Rat ist, sich psychologische Hilfe zu holen. Ich selbst habe das erst nach einem halben Jahr gemacht, während ich das für meinen Sohn bereits von Beginn an eingefordert habe. Anschluss habe ich wie gesagt auch in Facebook-Gruppen gefunden und dort sogar eine neue, enge Freundin gefunden. Die „MIKA“-App kann ich ebenfalls empfehlen.
Wie kann man während der Pflege, trotz aller Herausforderungen, Lebensqualität und besondere Erlebnisse ermöglichen?
Wir hatten gegen Ende viele gemeinsame Erlebnisse, von denen wir zehren konnten, die uns aufgebaut und uns Kraft gegeben haben.
Ein Spaziergang mit Rollator, ein gemeinsam genossener Kaffee, das Beobachten von Vögeln oder eine Diskussion über unsere Lieblingsthemen. Wir haben viele Fotos gemacht und uns gemeinsam darüber gefreut, manchmal auch darüber gelacht! Nach seinem Tod sind diese Fotos für Jannicks Geschwister unendlich wertvoll.
Fazit: Nichts ist einfach, aber alles ist schaffbar
Bettina weiß: Pflege ist kein Sprint, sondern ein Marathon, der alle paar Kilometer Stolpersteine in den Weg legt. Bürokratie-Wirrwarr meistern, Unterstützung geschickt einfordern und dich selbst nicht verlieren, machen den Pflegealltag für dich und deine Pflegeperson wesentlich einfacher.
Also: Mach’s wie Bettina und nimm Hilfe an, genehmige dir Pausen, wenn du sie brauchst, und schafft euch gemeinsam zwischen dem Stress Oasen mit schönen Momenten. Denn zwischen Arztterminen und Papierkram bleibt immer Platz für Kaffee, Vogelgezwitscher und Liebe.
Du bist auch pflegende:r Angehörige:r und willst dein Wissen und deine Erfahrung teilen? Schreibe uns gerne per Mail!
Quellen und Links zum Weiterlesen:
- Die MIKA-App ist der digitale Begleiter für Menschen mit Krebs. Hier geht’s zum Download.
- Onkomützen werden für Krebspatient:innen handgemacht und gelten als Zeichen der Solidarität. Hier kannst du dir eine bestellen – völlig kostenfrei!
- Die Verbraucherzentrale hat hier einen Artikel zu Anlaufstellen parat, um pflegende Angehörigen zu entlasten.
Titelbild: Unsplash/Marco Xu
Über die Serie
Du bist Angehörige:r, Freund:in oder Bekannte:r einer Person mit Krebs? Dann gratulieren wir dir herzlich – denn jetzt dreht sich alles mal um DICH! Heute bist DU das Kind an einem Tisch voller Erwachsenen. Mittelpunkt Numero uno und das Augenmerk unserer neuen Serie. Denn Pflegende sind oft die heimlichen Held:innen. Wir geben ihnen eine Bühne, lassen sie zu Wort kommen und teilen ihre Geschichten: von Sorgen, Überforderung, Tabus, Reality-Checks – bis hin zu den kleinen und großen Erfolgen in der Pflege.
Aber wo endet Hilfe, wo beginnt Bevormundung? Wie schaffst du es, dich selbst nicht zu verlieren? Diese Serie ist dein Rettungsring im Chaos des Pflegealltags – für dich und alle anderen, die sonst meist unsichtbar bleiben. Jetzt werden Rollen getauscht.