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Depression 101: How to cope richtig
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Doppelbelastung aus der Hölle: Depression & Krebs

Depressive Episoden sind oft hartnäckige Begleiter auf der Krebsreise. Mit ihnen richtig umzugehen, kann den Ausgang der Erkrankung positiv beeinflussen. Nur: Depri sein ist nicht gleich Depression. Wir schaffen einen kleinen Überblick über Diagnosen und Symptome und sagen euch, was ihr selbst tun könnt. 

Und was ist mit Antidepressiva? 

Medikamente kommen zum Zug, wenn du an einer mittelschweren oder schweren Depression leidest. Generell gilt, je schwerer die Depression, desto mehr helfen die Pillen. Sie sind insbesondere hilfreich, um deine Situation momentan akut zu verbessern, sprich deine Stimmung so weit zu stabilisieren, dass du Hilfe annimmst und eine Gesprächstherapie sinnvoll nutzen kannst. 

Ja, die Angst vor Antidepressiva ist groß, besonders, weil man als Krebspatient:in ja schon eine ganze Latte an Medikamenten nehmen muss. Aber, um erstmal das große Gerücht zunichte zu machen: Nein, sie machen nicht süchtig. Aber es stimmt – so von heute auf morgen absetzen geht auch nicht, sonst langt es Nebenwirkungen (keine Entzugserscheinungen) wie Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, etc.

Das Absetzen des Medikaments muss langsam und in Begleitung passieren. Egal was, sprich dich in Bezug auf Medikamente, insbesondere Antidepressiva, immer mit deine:r Ärzt:in oder Psychiater:in ab.

Rosa-weiße Pillen, auf die man Smileys gezeichnet hat
Antidepressiva: Diese ollen Pillen werden dir aus einem guten Grund verschrieben. (Foto: Pexels Amjd Rdwan)

Aber was machen Antidepressiva eigentlich mit dir? Im Grunde greifen sie in deinen Hirnstoffwechsel ein. Dort regulieren sie die gestörte Kommunikation zwischen den Nervenzellen, indem sie die Menge und Aktivität der Botenstoffe wie Serotonin und Dopamin (Glückshormone), sowie Melatonin (Schlafhormon) beeinflussen. Antidepressiva wirken zudem ein wenig versetzt. Es braucht meist zwei bis drei Wochen bis sie ihre positiven Eigenschaften entfalten. Nicht jedes Antidepressivum ist gleich und funktioniert für jeden.  

Manchmal muss man eben ein wenig herumprobieren, um herauszufinden, was funkt und was nicht. Und ja, es gibt auch pflanzliche Antidepressiva – Melisse, Kurkuma und Ginseng zum Beispiel. Aber Achtung: Der Stimmungsaufheller schlechthin – Johanniskraut –  hat leider negative Wechselwirkungen mit fast allen Medikamenten, die dir so bei einer Chemotherapie verschrieben werden, und der Pille. Deswegen gilt auch hier: Alles in einem vertrauensvollen Gespräch mit der Fachschaft klären. 

Fatigue vs. Depression 

Fatigue und Depression haben einiges gemeinsam, und sind sich zum Verwechseln ähnlich, gerade in Bezug auf die symptomatische Antriebslosigkeit. Der große Unterschied ist, dass Menschen mit Depression viel eher dazu neigen, sich zurückzuziehen. Wohingegen die von Fatigue Betroffenen Gesellschaft liebend gerne wollen, aber ihre Energie einfach nicht ausreicht. Ein weiterer Unterschied liegt in der körperlichen Belastbarkeit. 

In einer Depression ist Bewegung (das kann auch schon ein einfacher Spaziergang sein) eine ausschließlich positive Maßnahme. Die Fatigue’ler:innen fühlen sich dagegen so, als hätte man sie mit einer Dampfwalze überfahren, wenn sie ein gewisses Maß Bewegung überschritten haben. Hier liegt die Lösung darin, die Aktivitätsgrenze zu finden und sie nicht zu überschreiten.

Selbstwirksam aus dem Sumpf 

Also nehmen wir mal an, du bist depri. So richtig. Krebs ist blöd, hat dir den Boden unter den Füßen weggezogen. Deine Gedanken ertrinken in der berühmten Downward-Spiral. Aber du wurdest bereits diagnostiziert, führst Gesprächstherapie mit einer knieken Psychoonkologin und mit dem letzten Quäntchen Hoffnung fragst du: “Was kann ich selber tun?” – “Du kannst so einiges tun!”, würde sie dann sagen.  

Mann geht auf Holzweg durch einen nebligen Sumpf
Es gibt immer einen Weg aus dem Sumpf, man muss ihn nur finden. (Foto: Pixabay)
  1. Gib deinem Tag Struktur: Versuche, deinen Tag schon im Voraus zu planen. Was kannst du dir zutrauen? Was fordert, aber überfordert nicht? Was tut dir gut? Schreib das alles auf. So kannst du in harten Momenten auf eine erprobte Liste zurückgreifen.
  2. Sei nicht so hart mit dir: Reflexive Sanftmütigkeit, Baby! Sei nachsichtig mit dir.
  3. Schreib deine Gefühle auf: Das macht sie klarer, lässt dich leichter werden und eine andere Perspektive einnehmen.
  4. Reden, reden, reden: Teile deine Gefühle, sprich aus, was du dir wünscht und brauchst. Du wirst dich noch wundern, was für einen Riesenunterschied die Hilfe deines Umfelds machen kann, wenn du dich einen Spalt weit öffnest. 
  5. Über soziale Medien austauschen: Schöne neue Welt. Ja, soziale Medien können auch belastend sein, aber in einem Kontext wie die unsrige Kurvenkratzer-Community ist der Austausch ein wahres Jauchzfest.  
  6. Selbsthilfegruppen: Nein, Selbsthilfegruppen sind keine elendigen Trauervereine und nein, da gehen nicht nur Menschen mit Depressionen hin. Im Großen und Ganzen sind alle dort, weil sie das gleiche oder ein ähnliches Problem haben und darüber reden wollen. Klingt doch ganz gut, oder? Mit empathischen Gleichgesinnten beisammen sein und ein wenig Ballast abwerfen. 
  7. Geh raus: Wie bereits erwähnt: Bewegung ist das Nonplusultra für den Körper. Und remember: Spazierengehen gilt allemal als Bewegung. 
  8. Mach Entspannungsübungen: Schon tausendmal empfohlen. Aber es kann wirklich Wunder tun, wenn du Gedanken wie Wolken vorbeiziehen lässt, ohne sie zu bewerten. Meditiere, (vielleicht mit YouTube-Begleitung), atme bewusst, sei achtsam und höre auf deinen Körper, wenn alles zu viel wird, höre entspannende Musik, etc.
  9. Stopp die Grübelmühle: Das klingt jetzt sehr einfach. Aber du kannst wahrlich von einem Moment auf den anderen bewusst Stopp! zu deinen negativen Gedanken sagen. Es ist leicht, sich darin zu verlieren, und umso wichtiger ist es, aktiv einen Stock in die Speichen zu schieben. Und stattdessen vielleicht sogar mit positiven Affirmationen zu arbeiten. Wie du die einsetzt und für dich nützt, kannst du hier nachlesen.

Uuuuund hier nochmal alle Tipps als Checkliste zum Download!

Post-Krebs-Szenario 

Du hast den Krebs nach langer Zeit endlich gebrutzelt, aber jetzt sitzt du am Ufer zu etwas Neuem und statt der erwarteten Pazifikstille, wogen die inneren Monsterwellen des aufbrausenden Atlantiks. Verständlich. Innere Leere ist wahrlich typisch für das erste Kapitel des zweiten Lebens. Das Umfeld denkt sich “Juhuuuu!”, aber du nur so: “Müüüüüüüüüüüde”. 

Während der Krebstherapie bist du in einer Struktur drin und hast deine Anlaufstellen. Wenn dann aber die Therapie erfolgreich abgeschlossen ist, fallen diese Struktur und Anlaufstellen weg. Es stellen sich ganz viele neue, teils auch belastende Fragen: Wie kann ich beruflich wieder Fuß fassen? Will ich das überhaupt? Was, wenn ich einen Rückfall erleide?  

Diese Ängste und Sorgen gehen nicht automatisch weg. Der Weg geht weiter, du brauchst wahrscheinlich immer noch Hilfe. In fact – jede:r braucht immer Hilfe. Und das sagen wir nicht, damit sich das kapitalistische Rad dreht und die Therapeut:innen ihr gutes Geld bekommen. Scheue dich also nicht, dich weiterhin psychotherapeutisch behandeln zu lassen, das Umfeld zu informieren und dir vor- oder nachbeugend Gutes zu tun. 

Psychische Folgestörungen sind alles andere als unwahrscheinlich. Trauma ist nicht, was dir passiert, sondern wie du innerlich auf einschneidende Events reagierst. Hinzu kommen noch die familiären Stimmen von rechts und links, die meinen: “Lass es doch jetzt bitte so sein wie vorher”. Und die Antwort ist wohl ein zaghaftes “Jein.” Verarbeite weiterhin, setz dich auseinander mit allem, das dir widerfahren ist. Der Weg geht weiter, aber die Kilometer werden kürzer und die Schritte wieder leichter. 

Das sind die anderen Teile der Checklisten-Serie

  1. Diagnose: Krebs – und was nun? Sieben Tipps, um sicher durch die Krebsdiagnose zu kommen
  2. Ist die Diagnose gesichert? Gezielt informieren nach der Diagnose von Krebs in fünf Schritten
  3. Reden mit den Profis – So rockst du das medizinische Gespräch
  4. Krebserkrankt als Elternteil – So sagst du es deinen Kindern
  5. Medizinischer Suchtrupp – Mit diesen Untersuchungen wird dem Krebs auf den Zahn gefühlt
  6. Fels in der Brandung – So redest du mit krebskranken Menschen in Familie und Freundeskreis
  7. Krebs und klinische Studien: Yes Sir, I Can Study
  8. Wo du dir deinen Stoff holst: Die Fachapotheke
  9. Radioonko- wie bitte? Was bei der Strahlentherapie auf dich zukommt
  10. Der Chemo-Hilfe-Kurs – Erste Hilfe für die Chemotherapie mit unseren Chemo-Checklisten
  11. Tired 24/7. Fatigue – Die gefühlt endlose Müdigkeit
  12. Weit weg von Nighty-tighty – Schlafprobleme bei Krebs
  13. Doppelbelastung aus der Hölle: Depression & Krebs
  14. Wie du mit Krebs reist!
  15. Wo du dir deinen Stoff holst: Die Fachapotheke
  16. Wiedereingliederung: Wie dein Post-Krebs-Körper dich besser macht!
  17. Wie wichtig ist die Pflege? Deine Klinik-Buddies
  18. Lex Krebs – Das sind deine Patientenrechte
  19. Endlich, Behandlungsende! Was ist bei der Entlassung aus dem Spital zu beachten?
  20. So klappt’s mit der Regeneration in der Onko-Reha
  21. Der neue Alltag nach dem Krebs
  22. Tipps für den Spaziergang durch die Nachsorgephase
  23. So war das nicht geplant – Umgang mit Rezidiven
  24. Der letzte Weg – Palliative Versorgung bei Krebs
Über die Serie

Eine Krebsdiagnose schlägt wie ein riesiger Meteorit in das Leben von Betroffenen und Angehörigen ein. Wer damit konfrontiert wird, weiß im ersten Moment nicht, wie mit der neuen Situation umzugehen ist. Das ist komplett normal. Bisher schien alles so toll in geradlinigen Bahnen zu verlaufen. Nun sind vom einen auf den anderen Tag die Prioritäten total verschoben.

Kurvenkratzer reicht dir mit dieser Checklisten-Serie Tipps für die Bewältigung des Schocks. Wir haben praxiserprobte Hilfestellungen für die häufigsten Situationen während einer Krebserkrankung für dich auf Lager – vom medizinischen Gespräch bei der Diagnosestellung bis zum Reha-Aufenthalt in der Nachsorgephase. Und wir geben Impulse, wie dir ein achtsamer Umgang mit der Erkrankung gelingt.

Bitte beachte: Krebs ist höchst individuell. Die auf diesen Seiten enthaltenen Informationen stellen keine verbindliche und vollumfängliche medizinische Auskunft dar. Bitte berate dich betreffend deiner Therapieentscheidung jedenfalls mit deiner Ärztin oder deinem Arzt. Kurvenkratzer übernimmt keine Haftung für Fehlbehandlungen.

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