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Partizipative Entscheidungsfindung
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Shared Decision Making: Auf Augenhöhe mit der Ärztin

Du willst mitentscheiden, wie du als Patient:in behandelt wirst? Nicht von „Göttern in Weiß“ abhängig sein? Shared Decision Making zeigt, wie das in der Praxis funktioniert.

Stellen wir uns eine 85-jährige Patientin vor. Sie lebt alleine, kommt im Alltag bestens zurecht und ist körperlich fit. Plötzlich erhält sie eine Leukämie-Diagnose. Ihr Arzt empfiehlt ihr eine Chemotherapie. Die Frau ist innerlich dagegen, ordnet sich aber unter. „Ich kenne mich ja nicht aus“, sagt sie. Der Arzt sei schließlich der Experte.

Die Chemotherapie beginnt, mit allen Nebenwirkungen. Die Frau leidet. So möchte sie nicht weitermachen. Sie verliert den Lebensmut. Einem Krankenpfleger im Spital sagt sie: „Ich wollte eigentlich gar keine Behandlung.“ Trotzdem wird weiter behandelt – der Arzt „hat es so entschieden“ und sie fügt sich.

Junge Frau in weißem Pullover sitzt in selbstbewusster Pose vor einem Rollstuhl, dahinter eine rote Wand.
Bedürftig zu sein bedeutet nicht, auf Selbstbestimmtheit verzichten zu müssen. (Foto: Pexels/Shvets Production)

Natürlich schlägt dieses Beispiel voll in den Klischee-Topf, dass es nur so rundum spritzt. Das ist uns bewusst. Was vor 20 Jahren auf der Tagesordnung war, zählt heute zu seltenen Ausnahmefällen. In der medizinischen Ausbildung und im klinischen Alltag wird mittlerweile großer Wert auf patient:innenorientiertes Handeln mit Blick auf Lebensqualität und autonome Entscheidungen von Patient:innen gelegt.

Dennoch hält sich vor allem bei älteren Menschen noch eine überholte Mentalität:

  1. Ärzt:innen gehen davon aus, Patient:innen würden sowieso gezielt Fragen stellen und alles sagen, was ihnen am Herzen liegt.
  2. Patient:innen gehen davon aus, sie dürften wegen ihrer medizinischen Unkenntnis nicht mitreden oder gar mitentscheiden.

Shared Decision Making bringt’s

Doch wie gelingt ein Entscheiden auf Augenhöhe? Der Gedanke des Shared Decision Making (auf Deutsch die „partizipative Entscheidungsfindung“) transportiert genau das in den Klinikalltag. Die Idee dahinter ist: Eine Kultur schaffen, in der wichtige Behandlungsentscheidungen gemeinsam getroffen werden. Darüber haben wir auch mit dem Onkologen Ansgar Weltermann in unserem Podcast „Let’s talk about Krebs, Baby!“ geredet.

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„Shared Decision Making (SDM) ist ein Modell der Entscheidungsfindung im klinischen Kontext, gemäss welchem Arzt und Patient aktiv Informationen austauschen, verschiedene Behandlungsoptionen abwägen und partnerschaftlich eine Entscheidung fällen.“
– FMH Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte

Für uns heißt das, Therapieentscheidungen im Rahmen onkologischer Behandlungsleitlinien und mit Fokus auf Lebensqualität während des ärztlichen Gesprächs transparent zu gestalten und als Prozess zu verstehen. Hä? Okay, in anderen Worten: Du brauchst als Patient:in die aktuelle Situation und die empfohlene Vorgehensweise so erklärt, dass du sie nachvollziehen kannst. Schließlich geht es um deinen Körper. Auch wenn du den Weg zur Entscheidung gemeinsam mit deinem Behandlungsteam gehst: Du entscheidest im Endeffekt, wie therapiert wird – nicht das ärztliche Personal.

Junger Arzt mit einem älteren Patienten im ärztlichen Gespräch.
Falsche Scham ist im ärztlichen Gespräch unangebracht, vor allem, wenn Patient:in und Ärzt:in ein deutlicher Altersunterschied trennt. (Foto: Flickr/Chantelle van Heerden)

Die Kehrseite der Medaille ist, dass du dich – je nach Umfang der Entscheidung – einbringen musst: Fragen stellen, Verständnis schaffen, Wünsche und Bedürfnisse äußern. So kannst du das medizinische Gespräch (aka. „Arzt-Patienten-Kommunikation“) auf eine Ebene des gegenseitigen Austausches bringen, und letztendlich gefühlte Augenhöhe herstellen. Tschakka!

Wie wirst du zur mündigen Patientin oder zum mündigen Patienten? Unsere SEE-Regel auf der nächsten Seite.

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