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Vanessa Eichholz
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„Als Kind konnte ich mir kein Leben danach vorstellen“

Erkrankt ein Elternteil an Krebs, wird die Welt von Kindern in ihren Grundfesten erschüttert. Wie es ihr damals persönlich ergangen ist und wie sie heute selbst hilft, erzählt Vanessa Eichholz, Botschafterin der Pink Kids.

Seite 2/2: Wie können sich Kinder von an Krebs erkrankten Eltern selbst Hilfe holen?

„Die Familie wird das schon schaukeln“

Wegen der Tabuisierung der Themenkreise Krebs und Tod in der Gesellschaft hätten viele Vertrauen in die Selbstheilungskräfte der Familie. Dem sei aber nicht so, ist Vanessa Eichholz überzeugt, und Kinder litten besonders darunter. „Es ist besser, überhaupt darüber zu sprechen, als es totzuschweigen.“

Die Hemmschwelle, sich als Elternteil damit zu befassen und die Kinder ehrlich mit ins Boot zu holen, sollte reduziert werden. Sie appelliert besonders an Väter, das Gespräch mit den Kindern zu suchen und sie abzuholen – ohne die Einbindung zu erzwingen, das wäre für niemanden gut. Schließlich ist die Brustkrebserkrankung der Mutter nicht nur emotional, sondern auch organisatorisch und finanziell eine große Belastungsprobe.

Betreuung für Kinder von an Brustkrebs erkrankten Müttern

„Ich bin wie eine Blinde durchgetappt“, sagt Vanessa Eichholz über den Krebsfall in der engsten Familie. Weil sie damals keine Person finden konnte, die Vergleichbares schon erlebt hatte, und von deren Erfahrung sie profitieren hätte können, ist sie heute als Botschafterin für die Pink Kids tätig. Seit 2015 betreut dieses von Pink Ribbon Deutschland initiierte Projekt Kinder und Jugendliche von an Brustkrebs erkrankten Müttern. 

„Da sind noch andere, denen geht es genauso wie mir.“
Vanessa Eichholz

„Als Kind konnte ich mir kein Leben danach vorstellen.“ Obwohl es schlimm ist, die Mutter an Krebs sterben zu sehen, wünscht sich Eichholz, dass Kinder und Jugendliche aus ihrem Beispiel Mut schöpfen. „Ich bin trotzdem noch da, zwar anders als vorher, aber auch ich lache noch und habe schöne Tage.“ Es geht darum, den Fokus wieder zu verbreitern.

Pink Kids hat mit einer umfangreichen Website mit FAQ-Bereich sowie über Instagram und Facebook wichtige Anlaufstellen geschaffen. Die persönliche Betreuung erfolgt über eine gemeinsame Gruppe. An jedem letzten Sonntag im Monat treffen sich Kinder, Jugendliche und Botschafter*innen sowie fachliche Ansprechpersonen per Videokonferenz. „Alles kann, nichts muss“, erklärt Vanessa das Prinzip hinter der Gruppe.

Das Team der Pink Kids mit Jugendlichen.
Vanessa Eichholz beim Gruppentreffen der Pink Kids im Oktober 2019. Foto: Pink Kids

„Wer nicht in die Gruppe möchte, findet auf unseren Kanälen viel Material.“ Dort werden immer wieder Tipps zu Schwerpunktthemen gepostet, wie Selfcare oder „Was mache ich an Weihnachten“. Üblicherweise veranstaltet Pink Kids einmal im Jahr einen mehrtägigen Workshop für betroffene Kinder und Jugendliche, unter anderem mit Themen wie Trauerarbeit. Demnächst wird es auch einen Podcast geben. Eichholz will Kindern vermitteln, dass da noch andere sind, denen es genauso geht.

Das von Pink Ribbon Deutschland gemeinsam mit der TV-Pädagogin Sarah Sophie Koch aus der Taufe gehobene Projekt „Pink Kids“ betreut seit 2015 Kinder und Jugendliche von an Brustkrebs erkrankten Müttern. Neben einer sich einmal im Monat treffenden Gruppe stellen die umfangreiche Website sowie die Kommunikationskanäle auf Instagram und Facebook wichtige Informationsangebote dar. Denn viele möchten sich lieber lesend im Internet erkundigen.

„Bin ich eine gestörte Trauerverarbeiterin?“

Vanessas Mutter überlebt die zweite Krebserkrankung nicht. „Früher war es normal, dass in der Familie gestorben wurde“, sagt Vanessa. „Das ist heute nicht mehr so, deshalb wird nicht darüber gesprochen.“ Viele erzählten, dass die Trauer in Phasen verlaufen würde und nach einem Jahr wieder alles vorbei sei, die Trauer abgeschlossen. 

Bei Vanessa war das anders. Die klassischen Phasen der Trauerbewältigung wechselten einander ab und traten teilweise mehrfach auf. „Ich fragte mich, ob ich eine gestörte Trauerverarbeiterin bin“, erzählt sie. Es gebe aber keinen Ablauf nach Lehrbuch, weiß sie jetzt, weshalb sie Jugendlichen in ähnlichen Situationen sagt: „Du bist ganz normal.“

Vanessa Eichholz bei der YESCON 2020.

Foto: Peter Müller

Die deutsche Schauspielerin Vanessa Eichholz ist aus der Netflix-Serie „Lost in Space“ und dem Kinofilm „Hellboy – Call of Darkness“ bekannt. Studiert hat sie in München, New York und Los Angeles und war 2016 Teilnehmerin des Mentorship-Programms für Schauspiel „Women in Film“. Vanessa tritt in Werbespots, Musikvideos sowie Fernseh- und Kinofilmen auf und ist seit 2019 Botschafterin der Pink Kids. Dort gehört sie neben Christina Kempkes zum Führungsteam der Organisation.

Dem Leben lockerer gegenüber stehen

„Früher war ich total verbissen und verhielt mich, als wäre es eine Sache von Leben und Tod, ob ich eine bestimmte Rolle bekomme“, erzählt Vanessa, „aber seitdem bin ich dem Leben viel lockerer gegenüber.“ Sie versucht, sich nur noch über Dinge aufzuregen, die wirklich wichtig sind. Dabei hilft ihr die Frage: „Stört es mich noch in einem Jahr?“ Seither ist sie besser darin geworden, ruhig zu bleiben.

Im Sterbeprozess ihrer Mutter hat Vanessa gemerkt, dass jedes Familienmitglied jeden Tag in anderer psychischer Verfassung war. Es war damals eine große Ressource, sich gegenseitig aufzufangen und sich bei schlechter Tagesform auffangen zu lassen. „Wir konnten uns Freiräume schaffen und den Krebsmodus auch einmal verlassen“, damit der Krebs neben dem vielen Thematisieren zwei oder drei Stunden verschwindet. 

Blonde Frau mit T-Shirt mit der Aufschrift „Niemals aufgeben“.
„Niemals aufgeben!“ Deshalb wünscht Vanessa sich Joko Winterscheidt als weiteren Botschafter der Pink Kids – damit auch Jungs hinzukommen. Foto: Privat

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Titelfoto: Privat

Über die Serie

Stark sein? Runterschlucken? Das Schicksal ertragen? Wir von Kurvenkratzer bekommen latenten Brechreiz, wenn wir derartige Sprüche hören. Und warum flüstern wir, wenn wir über Krebs reden? Ja, Krebs ist in unserer Gesellschaft leider noch immer ein Tabu. Studien zufolge trifft aber jeden zweiten Menschen im Laufe seines Lebens eine Krebserkrankung. Krebs ist also alles andere als eine gesellschaftliche Nische.

In unseren Interviews sprechen wir mit Menschen, die Krebs am eigenen Leib erfahren haben oder nahe Betroffene sind. Wir reden mit ihnen über den Schock, den Schmerz, Hilfe zur Selbsthilfe, Humor und Sexualität, sowie darüber, wie es gelingt, Mut und Hoffnung zu finden. Damit möchten wir dich motivieren: Wenn du das Gefühl hast, über deine Erkrankung sprechen zu wollen, dann tu es. Du bist nicht allein.

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