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Reichhaltige Trauerkultur von Aberglaube zu Klageweibern
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Trauern dahoam: Wie und warum Europa trauert

Europa trauert tendenziell privat. Nichtsdestotrotz haben wir einige jahrhundertealte und kuriose Trauereigenheiten entwickelt. Wir sagen dir, wie sie entstanden sind, warum wir so trauern und was es sonst noch gibt.

Nachdem wir im letzten Artikel in der Weltgeschichte des Trauerns herumgegeistert sind, wollen wir diesmal die Lupe über unseren Heimatkontinent schweifen lassen. In unserem religiös recht homogenen Europa liegt die Diversität zwar unter einem Flaum von postmoderner Gleichartigkeit, aber hat man den erstmal überwunden, tun sich meist quirliger Aberglauben, nicht totzukriegende Traditionen und kulturelle Nuancen auf, die dir garantiert ein tolerantes Schmunzeln entlocken werden. Das ist die Kurvenkratzer-Garantie! 

Gemäß dem gemäßigten Klima in unseren Gefilden wird das Leben der verstorbenen Person nicht gerade heißblütig gefeiert. Unser in Mitteleuropa ansässiges Christentum empfindet Trauern als etwas Privates. Und so betrachtet der gemeine Gutbürger es als tendenziell unpassend, wenn du deinen Trauergefühlen in der Geflügelabteilung freien Lauf lässt.  

Eine russische Frau mit Kopftuch trauert inmitten einer Runde von Frauen.
Niemand sollte ein Urteil über Trauernde fällen. (Foto: Wikimedia Commons/Unbekannt)

Genau deswegen haben wir unsere Rituale. Einen sicheren Rahmen, um dem Schmerz Ausdruck zu verleihen, zu heulen, zu lamentieren, schniefen, seufzen und zu erinnern. Und jetzt komm mit: In diesem Rahmen wollen wir uns fallen lassen.  

Hierzulande – Schland, Ösiland und Schwyz 

Starten wir doch mal im Herzen Europas, da, wo wir Deutschsprachigen emsig unsere Friedhöfe pflegen. Du magst schon auf dutzenden Trauerfeiern gewesen sein, all die Brauchtümer mit Selbstverständlichkeit befolgt haben. Aber weißt du auch, warum wir tun, wie wir tun? Wo der Ursprung liegt?

Leichenschmaus 

Der Leichenschmaus hatte einst eine ganz praktische Funktion. Als Auto, Bus, Bahn und Flieger noch nicht jeden Weg zu einer Halbtagesangelegenheit gemacht hatten und Anreisen beschwerlich waren, wurden so die Weitherkommenden mit essbarem Treibstoff gestärkt.  

Abgesehen davon zeigt das Essen nach dem Trauerspiel klar, dass das Leben weitergeht, während die Gesellschaft mit Anekdoten und Geschichten die Vergangenheit aufleben lässt. Dahingehend stärkt das gemeinsame Futtern auch die sozialen Bindungen, insbesondere zu alten Kontakten. 

Erste Aufzeichnungen des “epulum funebre” (Totenmahl) oder “refrigerum” (Erfrischung) stammen aus der römischen Kultur des 4. Jahrhunderts. Die Römer wiederum haben das Prozedere wahrscheinlich von den Heiden übernommen. Bloß haben die nicht so viel dokumentiert. 

Trauergesellschaft beim Leichenschmaus
Was man durchaus beachten sollte, ist, dass bei einem Leichenschmaus in der Tat keine Leiche verschmaust wird. (Foto: Wikimedia Commons/Adolph Tidemand)

Allerseelen

Klar, kennst du. Der Zwillingsbruder von Allerheiligen, der ein wenig inklusiver ist und allen herkömmlichen Seelen gedenkt. Das dachte sich auch ein gewisser Odilo von Cluny (französischer Abt), der einen bis dato heidnischen Ahnenkult in den Katholizismus beförderte, weil er es unfair fand, dass nur die Heiligen ihren Gedächtnistag bekamen. Volksfrömmigkeit deluxe. 

Die armen im Fegefeuer schmorenden Seelen profitieren dabei besonders. Dort befinden sich nämlich jene, die vor Gottes Gericht gerade noch bestanden haben. Und zur Reinigung vorläufig ins Purgatorium geschickt werden – das Wartezimmer zwischen Himmel und Hölle, das an jenem 2. November “Tag der offenen Tür” veranstaltet, damit die Seelen kurz zur Erde aufsteigen und sich von ihren Qualen erholen können.  

Wie praktisch, dass genau zu jener Zeit die Katholiken gutmeinend über den Friedhof prozessieren, beten, singen und Gräber segnen, damit ihre Ex-Verwandten so schnell wie möglich ein himmlisches Level aufsteigen. Allerseelen, da hast du‘s!

Zwei Nonnen, die vor einem Grab beten.
Manche sagen, das Fegefeuer ist wie ein Flugzeug, das nie abhebt. (Foto: Wikimedia Commons/Muhammad Amdad Hossain)

Auf der nächsten Seite wird es abergläubisch.

Über die Serie

Oh nein, nächstes Tabuthema auf Kollisionskurs! Als ob Krebs nicht ausreicht. Machen wir uns nichts vor: Krebs wird direkt mit Sterben, Tod und Trauer in Verbindung gebracht, auch wenn viele Krebserkrankungen gar nicht tödlich sind. Geht’s doch schließlich ums Abschiednehmen, das alte Leben loslassen.

Wer uns kennt, weiß, dass wir alles locker, aber nichts auf die leichte Schulter nehmen. Schon gar nicht das Lebensende. Scheiden tut weh, keine Frage, und den Löffel abzugeben ist nicht lustig, aber wer zuletzt lacht, soll am besten lachen. Lass uns gemeinsam ins Gras beißen! Wie, das erfährst du in dieser Serie.

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