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Krebs und Isolation
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Von Iso-Haft zu Iso-Kraft: Theresas Weg

Akute Leukämie, Lebensgefahr, Isolierstation. Was macht das mit dir? Sehr viel – die Autorin Theresa Othegraf weiß das aus eigener Erfahrung. So wurde sie damit fertig.

Einzelhaft Sinneswandel Theresa

“Am frühen Abend sitze ich auf meiner Couch und habe das Gefühl, mein Leben geht zu Ende. Ein paar Stunden und dann werde ich sterben. Ich kann das gar nicht so richtig in Worte fassen. Es ist das Gefühl, der letzte Film rollt gleich ab.” So erinnert sich Theresa Othegraf an jenen Abend, an dem ihr bewusst wird, dass etwas mit ihr nicht stimmt.

Gleich vorweg: Schuld an ihrem Zustand ist nicht die verschleppte Nasennebenhöhlenentzündung, die ihre Hausärztin vermutet. Und auch nicht der Nasenkrebs, an den ein weiterer Arzt glaubt. 

Aber der Reihe nach. Ich erreiche Theresa über Teams, es ist Sonntagvormittag. Regen prasselt gegen mein Fenster. Den ungewöhnlichen Zeitpunkt für das Interview hatte Theresa vorgeschlagen. „An einem Wochentag nach der Arbeit bin ich einfach zu müde”, hatte sie geschrieben. Fatigue. Zu erschöpft. Um über das zu sprechen, was so sehr an ihren Kräften gezehrt hat. So sehr, dass sie fast daran gestorben wäre. Krebs.

Diagnose: Lebensgefahr

Während wir sprechen, sitzt Theresa in ihrer Wohnung in Brühl bei Köln. Hinter ihr: Ein kleines Metallregal mit Büchern, obenauf drei Topfpflanzen. Weiße Blüten, Kaktus. Davor Theresa: Kurzes braunes Haar. Moderne rote Brille. Grauer Pulli. Sie trägt einen gemusterten Schal (gedeckte Farben: blau, weiß, rot). Offenbar liegt ihre Wohnung an einer Straße. Während des Gesprächs fahren mehrmals Einsatzfahrzeuge mit Sirene vorbei. 

Theresa nimmt mich mit. Auf ihre Reise in eine Vergangenheit, die noch nicht lange her ist. Sie führt ins Krankenhaus. Und dann in die Isolation. Ich will wissen: Wie hat Theresa sie erlebt? Wie überlebt? 

Die Diagnose kommt nüchtern gestellt von einem Arzt in der Uni-Klinik Köln: Akute Leukämie. Sie ist in Lebensgefahr. In einigen Stunden könnte sie tot sein, sie muss sofort mit der Chemotherapie beginnen. Theresas Gefühl auf der Couch war richtig.  

Graffiti, durch das Fenster eines Busses oder einer Straßenbahn aus gesehen.
Schau mir in die Augen, Kleines! Theresa fotografiert gern. Vor allem Graffitis. (Foto: Theresa Othegraf)

Witzeln gegen den Tod

Was folgt, ist ein Kampf. Für das Leben. “Wie bin ich damit umgegangen? Da gab es nichts zum Nachdenken. Ich war sofort im Überlebenskampf. Es ging um Leben und Tod. Ich war im Endstadium, hatte den Sensenmann schon an meiner Seite.” Dennoch: diese Erkenntnis bleibt erst mal abstrakt. Als sie an den Tropf angeschlossen wird, witzelt Theresa: “Juristisch ist das aber nicht okay, ich habe ja noch nichts unterschrieben.”

Da erwidert der Arzt: “Jeder Richter würde das kippen, weil Sie in Lebensgefahr sind. Haben Sie das noch nicht begriffen?” Doch, hat sie. Spätestens jetzt. Dann die erste Nacht im Krankenhaus, die Auseinandersetzung mit der Frage: “Was ist, wenn ich jetzt sterbe?” Die Nachtschicht, später die Psycho-Onkologin. Sie fangen Theresa auf, sprechen mit ihr. Das hilft etwas. 

Auf der nächsten Seite erfährst du, warum ein US-Amerikaner Theresas letzte Überlebenschance ist, und wie sie ihre strikte Isolation erlebt.

Über die Serie

Jeder Mensch hat zwei Leben. Das zweite beginnt dann, wenn du realisierst, dass du nur ein Leben hast, und die Welt sich anders anfühlt. Durch den massiven Eingriff von Krebs & Co findet ein Sinneswandel statt. Falls dein Lebensweg bisher an Sinn vermissen ließ, wird das im Angesicht der Endlichkeit furchtbar klar.

Die Sinneswandel-Serie beschäftigt mit der Vielfalt an Bewältigungsstrategien, die Krebspatient:innen entwickeln, um mit all den weitreichenden Veränderungen umzugehen. Coping ist eine Kunst, und Kunst sensibilisiert die Sinne. Durch unsere Community wissen wir: Manche haben besonders kreative und authentische Ansätze gefunden. Sie haben inspirierende Geschichten gelebt, Prüfungen bestanden, schwere Entscheidungen getroffen – und wir entnehmen die Essenz dieser Lebenswege und gießen sie in tieftauchende Porträts.

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