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3 x 3 zu Weihnachten
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„Ich sang, tanzte und feierte, dass ich am Leben war“

Alle Jahre wieder. Auch 2021 sprechen wir in unserer Miniserie „3 mal 3 zu Weihnachten“ mit drei an Krebs erkrankten Menschen über das Fest der Liebe. Annette beginnt, und erzählt von einem etwas anderen Weihnachtsfest.

Annette ist 43 Jahre alt, Grundschullehrerin, Autorin und Krebsbloggerin. Sie lebt mit Mann und drei Kindern im Schwarzwald. Im November 2020, mitten in der Corona-Pandemie, erhält sie die Diagnose Brustkrebs. Es folgen eine brusterhaltende Operation, Chemotherapie und Bestrahlung. Eine Antikörper- und Antihormontherapie dauert noch an.

„Ich hätte diese Erkrankung definitiv nicht gebraucht“, erzählt sie im Interview. Mittlerweile sei der Krebs aber ein „Schuss vor den Bug“ für sie. Er habe ihr geholfen, ihre „Brille im Hinblick auf das Leben und die Menschen schärfer zu stellen“. Für so manche Veränderung, die der Krebs in ihrem Leben und ihrem Mindset gebracht hat, ist sie ihm sogar dankbar.

Lachende Frau mit frechem Kurzhaarschnitt in einem gestreiften Shirt mit der Aufschrift „Ho, Ho, Ho“.
In ihrem Blog erzählt Annette, wie sie mit dem „Krebsmist“ zurechtkommt und warum sie sich als „Héroine“ fühlt. (Foto: Privat)

Wie war das erste Weihnachten nach der Diagnose für dich?

Kurz vor Heiligabend hatte ich die erste Chemo. Ich war besorgt, aufgeregt und hatte ein schlechtes Gewissen den Kindern gegenüber. Es war doch schon wegen Corona alles anders und nun hing auch noch ich durch. Bestimmt würde alles ganz traurig, ganz unfeierlich werden.

„Der Weihnachtsbaum war freaky-cool.“
– Annette Holl

Dann kam Weihnachten. Gleich vorweg: Ja, es war anders. Aber es war das schönste Weihnachten, das ich je erlebt habe. Die Weihnachtsbäckerei hatte auch in diesen krebsigen Zeiten nicht gänzlich geschlossen. Aber anstelle von über 20 Sorten hatten die Kinder und ich lediglich eine produziert, nämlich Butterplätzchen. Dick mit Zuckerguss überzogen und mit bunten Streuseln verziert. Ganz ehrlich: Das sind doch sowieso die besten, oder?

Der Weihnachtsbaum war freaky-cool. Ich hatte das Schmücken meinen drei Goldschätzen überlassen. Also hingen Playmobilfiguren, Fillypferde, eine Star-Wars-Kugel und sonstige mehr oder vielmehr weniger traditionell-weihnachtliche Gegenstände daran. Genau das war genau richtig. Herrlich bunt, herrlich lebendig.

„Dieses Weihnachtsfest war reduzierter. Es war leiser. Aber es war sehr intensiv.“
– Annette Holl

Corona-krebs-bedingt feierten wir ohne Besuch, dafür noch mit Haaren auf meinem Kopf. Das kostete ich aus, indem ich viele Fotos von mir im schicken, neuen, roten Kleid und Stöckelschuhen knipsen ließ, weil ich dachte, dass ich mit Glatze „nie und nimmer“ vor die Kamera gehen würde. (Dass ich am Neujahrstag dann das erste Beaniefoto online stellen würde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.)

Zum Essen gab’s schmalspurmäßig Kartoffelsalat und Würstchen, Spaghetti Bolognese, Kräuterquark und Rohkost. Den Tisch deckten wir allerdings opulent ein und unsere Klamotten waren – wie gesagt – laufstegverdächtig. Bemerkenswert waren die Geschenkeberge, die sich – dank zahlreicher Paketlieferungen – auftürmten. So viele wundervolle Menschen wollten den „armen Kinder der krebskranken Mutter“ etwas Gutes tun.

 

Bunt geschmückter Weihnachtsbaum mit vielen Geschenken am Boden in unterschiedlichsten Größen und Formen.
Wenn die Krebsdiagnose das Leben grau färbt, feiert Annette Weihnachten möglichst bunt. (Foto: Privat)

Da keine Besuche oder Fahrten zu Verwandten anstanden, hatten wir alle ganz viel Zeit. Zeit, um die neuen Legosachen aufzubauen, das neue Spiel auszuprobieren, den neuen Film anzuschauen. Mein Sohn hatte sogar Zeit, ein Besucherkind zu empfangen und wir Eltern konnten einen Mittagsschlaf einlegen.

Dieses Weihnachtsfest war reduzierter. Es war weniger traditionell.  Es war leiser. Aber es war sehr intensiv. Es war fröhlich. Es war glitzernd. Es war emotional. Es war herrlich entspannt. Es war harmonisch. Es war wunderschön. Es war ganz besonders.

Von Kindern handgeschriebene Briefe auf buntem Papier mit Weihnachtswünschen.
Glitzerkörner, Kuscheln und viel Gesundheit wünschen Annettes Kinder zum ersten Weihnachtsfest nach der Krebsdiagnose. (Foto: Privat)

Feierst du Weihnachten seit deiner Krebserkrankung anders?

Ich möchte zukünftig versuchen, die Lockerheit und den Blick auf das Wesentliche mitzunehmen. Warum nicht einfach von jetzt an immer ein Jausenbrett statt Braten, den doch „eigentlich eh nur die Großen mögen, Mama!“ Warum nicht in Zukunft den Schlafanzug so lange wie möglich anlassen?

Warum nicht gemeinsam einen Disneyfilm anschauen, wenn sowieso keiner Lust auf den Spaziergang hat? Ich möchte gemeinsame Momente mit meinen Lieblingsmenschen erleben. Ich möchte weihnachtliche Gemütlichkeit statt Perfektion und Stress. Ich möchte „abgeben“ anstatt „alles im Griff haben zu müssen.“

Was wünschst du dir selbst zu Weihnachten?

Ich wünsche mir definitiv wieder eine Stunde „sturmfreie Bude“, so wie vergangenes Jahr: Chemo-corona-bedingt war ich nicht beim Gottesdienst und hatte das Haus für mich allein. Ich drehte die Rock-Christmas-CD richtig laut auf, und sang, tanzte und feierte, dass ich am Leben war.

Goldene Weihnachtsbaumkugel mit der Aufschrift „Möge die Macht mit dir sein“.
Annette ist nie um einen aufmunternden Spruch verlegen, selbst auf den Kugeln am Weihnachtsbaum ist einer zu finden. (Foto: Privat)

Na, was wünscht du dir?

In einer übervollen Welt sind Wünsche nicht mehr viel wert. Mit Krebs ist das anders. Da ist Wünschen plötzlich unbezahlbar. Wenn du der gleichen Meinung bist, freuen wir uns, wenn du den Beitrag teilst. Und schreib dazu, was du dir wünscht.

Wir sprechen über Krebs. Laut. Mach auch du mit.

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