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Das Gesundheitswesen schreibt Tagebuch
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Föderalala – das Land der 1.000 Zuständigen

„Warum muss ich mich in jedem Bundesland an andere Regeln halten?” Das fragt sich das Gesundheitswesen im zweiten Tagebucheintrag. Dazu spricht es mit Gesundheitsökonom Thomas Czypionka. Und muss danach zur Therapeutin. Die schickt es auf eine Odyssee – eine Reise zu sich selbst.

Zuständigkeitspuzzle 

Doch nochmal zurück zu den Auswirkungen des Föderalismus. Noch ein Beispiel gefällig? Ich knirsche mit den Zähnen. Als Patient:in kann es dir passieren, dass du in einem Bundesland ganz andere Medikamente bekommst als in einem anderen. Schlimmer noch: Die Medikamente können sogar pro Spital unterschiedlich sein.

Im Extremfall kann es also schlechter für dich sein, im einen Bundesland Krebs zu bekommen als im anderen. Weil dort das benötigte Medikament vielleicht nicht verabreicht wird, das du woanders problemlos bekommst.

Zwei unpassende Puzzle-Teile.
Im Land der 1000 Zuständigen gibt es viele kleine Puzzleteile. Aber nicht alle passen zusammen. Illustration: Lena Kalinka

Der Grund? Wieder der Föderalismus: Für den gesamten niedergelassenen Bereich gibt es eine einzige “Heilmittel-Evaluierungskommission”. Spitäler entscheiden jedoch selbst, welche Medikamente sie verwenden. Versuche, eine für alle Krankenhäuser verbindliche Bewertung von Arzneimitteln einzuführen, sind bisher fehlgeschlagen, erklärt Gesundheitsexperte Czypionka. Die Gründe sind komplex, aber du ahnst es schon: Es geht um die unterschiedlichen Zuständigkeiten von Ländern und Bund. Föderalismus eben.

Pff. Das ist alles ein bisschen überwältigend. Was soll ich davon halten, und vor allem, wie kann ich das lösen? Mir brummt schon jetzt der Kopf. Lasse mir aber nichts anmerken und befrage den Experten tapfer weiter. Denn kritisieren ist das eine – aber wie sehen die Lösungen aus? 

Krebsbehandlung auf dänisch… 

So wie in Dänemark etwa, erzählt Thomas Czypionka. Dort wurde bereits im Jahr 2000 mit der Digitalisierung begonnen und die elektronische Gesundheitsakte eingeführt. “Es gibt ja das Gerücht, dass wir die auch haben”, fügt er schmunzelnd hinzu. “Das Problem ist nur, dass die ELGA halt noch immer bei weitem nicht so implementiert ist, wie es eigentlich gehört.” 

Die Vorreiterrolle nimmt Dänemark auch bei der häuslichen Krebsbehandlung ein. Was sich “hospital at home” nennt, ist der Versuch, Spitalsleistungen zu Hause anzubieten und zu betreuen, etwa via Telemedizin. Die Folgen: Es entstehen insgesamt 16 sogenannte Super-Spitäler, die mehr hochspezialisierte Leistungen anbieten können. “Im Endeffekt wird es nur noch 21 Akutspitäler im ganzen Land geben. Der Rest soll im niedergelassenen Bereich oder über Telemedizin abgewickelt werden.”  

Zum Vergleich: In Österreich gab es 2021 nach Auskunft des Gesundheitsministeriums 264 Krankenanstalten. 

…und auf österreichisch 

Aber können wir dieses Modell nicht auch bei uns umsetzen, Thomas Czypionka? Was hindert uns daran? 

Du ahnst es schon: der Föderalismus.

Das Tagebuch brennt.
Es gibt ein paar brennende Themen, die gelöst werden sollten. Illustration: Lena Kalinka

Tatsächlich lassen sich chronifizierte Krebsformen über einen längeren Zeitraum oral oder subkutan – also mittels Injektionen – behandeln. Die Therapien könnten eigentlich bei niedergelassenen Ärzt:innen durchgeführt werden. Aber: “Die brauchen die Möglichkeit, sich abzusichern. Das heißt, der:die Ärzt:in braucht jemanden in einem Krebszentrum, den er:sie etwa bei Nebenwirkungen fragen kann: ‘Was tue ich jetzt?’” 

Und jetzt kommt’s: Dieser sprichwörtliche Griff zum Telefon ist derzeit nicht möglich, weil niedergelassene Ärzt:innen von der Sozialversicherung bezahlt werden; im Krankenhaus zahlt jedoch der Landesgesundheitsfonds. Erstere ist in der Hoheit des Bundes, letzterer in jener der Länder. Diese unterschiedlichen Verrechnungsarten – Stichwort: Föderalismus – verhindern also eine Anbindung und die durchgängige Kommunikation zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzt:innen. Sehr zum Schaden der Patient:innen, findet Thomas Czypionka.  

Ich muss zugeben: Ich auch.

In Deutschland ist das Gesundheitssystem übrigens etwas weniger föderalistisch, zugleich sind die Dimensionen ganz andere. Der Gesundheitsökonom klärt mich auf: Deutsche Krankenhäuser werden nicht aus einem Bundeslandfonds, sondern direkt von den Krankenkassen bezahlt. Da es verschiedene Kassen gibt, gibt es Konkurrenzdruck – auch für die Krankenhäuser. Und somit einen Anreiz, Leistungen zu verbessern. 

Was wird aus mir? Auf der nächsten Seite wirft der Experte einen Blick in meine Zukunft.

Über die Serie

Stell dir vor, das Gesundheitswesen ist ein echtes Wesen. Es atmet, isst, trinkt, verdaut, fühlt. Und wenn es lange überlastet ist, funktioniert es nicht mehr wie sonst. In dieser Serie passiert genau das: Das Gesundheitswesen erleidet ein Burnout und muss eine Auszeit nehmen. „Den Auslösern auf den Grund gehen“, wie die Psychologin sagt.

In 20 Tagebucheinträgen beschäftigt es sich mit sich selbst – und deckt nach und nach Probleme, Erfolge und Möglichkeiten auf. Dazu spricht das Gesundheitswesen mit allerlei Fachleuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz übers Bettenfahrern, die Pflegekrise oder Themen wie Föderalismus und Digitalisierung. Am Ende entsteht ein Gesamtbild der aktuellen Herausforderungen im System.

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