
Carsten erzählt: Trauern, wenn Freund:innen gehen
Trauern gehört zum Leben – doch jeder Verlust trifft anders. Wie geht man damit um, wenn Freund:innen sterben? Unser Psychoonkologe Carsten teilt seine Erfahrungen und sagt, was wirklich hilft.
Seite 2/2: Jetzt plaudern wir mit Carsten über die vielen Gesichter, die Trauer haben kann.
Jeder Tod ist anders
Auch wenn es in einer Krebscommunity verhältnismäßig oft vorkommt, dass Leute sterben, gewöhnen werde ich mich nie daran. Wenn dir jemand nahesteht, ist jeder Tod anders. Denn es geht nicht um den Tod an sich, sondern um den Menschen, der fehlt. Jede Beziehung ist anders, jeder hinterlässt eigene Spuren, andere Erinnerungen, andere Lücken.
Immer noch kein Partythema
Mein Blick auf Leben und Tod hat sich über die Jahre sehr verändert. Ich lasse die Endlichkeit jetzt mehr in mein Leben. Oft fühle ich mich deshalb wie ein Alien, besonders wenn andere das Thema unter den berüchtigten Teppich kehren.

Der Tod ist halt kein Partytalk. Er bleibt etwas, das mit Schwere verbunden ist. In solchen Momenten nehme ich mich zurück, weil es nicht angebracht scheint – wobei man diskutieren könnte, ob es nicht immer angebracht sein sollte.
Letztlich hängt es von einem selbst ab, ob man sich den Raum nimmt, ob es guttun würde, mit anderen zu sprechen – auch wenn sie die verstorbene Person nicht gekannt haben. Gute Freund:innen sagen dann vielleicht: “Komm vorbei, wir quatschen.” Man kann natürlich auch ankündigen: “Hey, ich muss zu dir, weil ich ein paar Dinge loslassen muss.”
Mein Tipp: Mach einen Letzte-Hilfe-Kurs!
Ein Letzte-Hilfe-Kurs vermittelt grundlegendes Wissen und einfache Handgriffe für die Begleitung von schwer kranken und sterbenden Menschen – ähnlich wie ein Erste-Hilfe-Kurs, nur halt am Lebensende. Du lernst, was im Sterbeprozess wirklich passiert, wie du einfühlsam unterstützt und welche Hilfsangebote es gibt.
Der Kurs richtet sich übrigens an alle, und nicht nur an medizinisches Personal. Angeboten wird er bundesweit, meist von Hospizvereinen, Volkshochschulen etc. – oft kostenlos oder gegen eine geringe Gebühr.
Warum der Kurs wichtig ist? Weil er dein Vertrauen stärkt, dich trauernden und sterbenden Menschen nicht aus Unsicherheit zu entziehen – Leuten, die deine Hilfe manchmal echt gut gebrauchen könnten.
Trauer hat viele Gesichter
Trauern ist ja nicht nur Weinen. Es geht um Loslassen, Neuorientierung, und manchmal auch darum, verbunden zu bleiben. Darum, die neue Realität ohne diesen einen Menschen so gut wie möglich zur Normalität werden zu lassen.
Ich bin ein großer Verfechter vom Begriff der Gleichzeitigkeit. Denn manchmal ist es einfach so, dass man gar nicht weiß, was man überhaupt fühlen soll, weil irgendwie alles gleichzeitig passiert. In diesem Sinne ist es unfassbar wichtig, dass man sich nicht schuldig fühlt, wenn man in der Trauer mal gut drauf ist oder mit der Tragik humorvoll umgeht.
Es ist total verständlich, wenn man unterbewusst das Gefühl hat: “Mir muss es jetzt richtig schlecht gehen, damit ich dieser Person ehrenvoll gedenke.” Oder: “Mir darf es nicht gut gehen, weil andere sonst denken, ich trauere nicht richtig.” Bullshit. Du fühlst dich, wie du dich fühlst, und die Hauptsache ist, dass es rauskommt.
Warum ich?
Jedes Mal, wenn jemand aus meinem Umfeld über die Regenbogenbrücke geht, kommen die Fragen wieder. Ich habe Knochenkrebs mit Lungenmetastasen – warum darf ich noch da sein, während um mich herum Menschen sterben?
Das sind privilegierte Fragen, weil ich immer noch voller Gesundheit den Planeten beglücke. Aber sie beschäftigen mich trotzdem. An manchen Tagen denke ich, ich habe einfach Glück. An anderen denke ich, dass es vielleicht noch Dinge gibt, die ich regeln muss und möchte.

Der Tod war schon oft um mich – klarerweise ohne Rücksicht darauf, ob ich emotional gerade bereit war. Deshalb habe ich mir letztens ein Trauergespräch bei einem ambulanten Hospiz ausgemacht. Denn wenn ich andere bei diesem Thema begleite, trage ich krasse Verantwortung, unter anderem dafür, bei meiner eigenen Verarbeitung nichts zu verpassen.
Vielleicht will ich auch einfach nur hören, dass ich es gut mache, dass ich mich diesen Themen stelle, statt wegzuschauen. Wer weiß? Die Fragen bleiben, und vielleicht ist das auch gut so.
Quellen und Links:
- Die Letzte Hilfe Deutschland bietet Kurse an, die Menschen befähigen, Sterbende zu begleiten.
- Hier findest du Letzte Hilfe-Kurse in Österreich.
- Das Trauerkaleidoskop von Chris Paul eröffnet neue Perspektiven auf den Trauerprozess – und zeigt, wie vielfältig, dynamisch und individuell Trauer wirklich ist.
- Du willst Carsten bewegt und in Farbe? Seine Psychoonko-Kolumne gibt es auch im Reelformat auf unserem Instagram-Kanal.
- Carstens Verein „Jung und Krebs e.V.“ verbindet junge Krebsbetroffene in und um Freiburg.
- Auf seinem Instagram-Kanal spricht Carsten frei über seine Krebserfahrung (und läuft Marathons, als gäbe es kein Morgen).
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Über die Serie
Carstens hautnahe Krebserfahrung im zarten Alter von 24 hat ihn zum Meister der krebsverwandten Gefühlswelt gemacht. 14 Jahre nach seiner Diagnose hilft er als Psychoonkologe jungen wie alten Krebspatient:innen beim psychischen Waschgang. Jetzt auch in geschriebener Form! Das Kurvenkratzer Magazin präsentiert “Carstens Psychoonko-Kolumne” (inklusive schwarzem Humor und hochdosierter Empathie).